Einführung

Fast alle christliche Gemeinden und Gelehrten stimmen darin überein, dass die Christen in der frühen Gemeinde im 1. Jhdt. n.Chr. an ein Kommen ihres Herrn Jesus noch zu ihren Lebzeiten glaubten. Allerdings stimmen dann auch fast alle christliche Gemeinden und Gelehrten darin überein, dass sie sagen, dieses Kommen sei jedoch damals nicht geschehen und habe sich - nunmehr für fast 2000 Jahre - verzögert. Wie kann das sein? Was ist passiert? Wer hat sich hier geirrt? Wurden die frühen Christen etwa von Irrlehrern falsch gelehrt? Irrten sie mit ihrer Vorstellung einer Naherwartung, d.h. der Erwartung des Kommens des Herrn noch in ihrer Generation? Diese Studie nimmt Bezug auf einige Quellen, die sich mit der Naherwartung der frühen Christen beschäftigen und versucht darzulegen, wo der eigentliche Irrtum in dieser ganzen Sache liegt.

Was sagen die Kritiker?

Einige Gelehrte haben die Glaubwürdigkeit Christi und der Bibel als dem inspirierten Wort Gottes bezweifelt, indem sie darauf hinweisen, dass Jesus mit seinen Voraussagen und der Verheißung seines Kommens während des Lebens der Apostel und Gläubigen im 1. Jahrhundert unrecht hatte. All die verschiedenen Erklärungen und Auslegungen, die anhand des biblischen Berichts eine Rechtfertigung für das Nichtzustandekommen der gemachten Prophezeiungen bzgl. der Naherwartung geben wollen, schlagen im Grunde genommen fehl, denn sie ändern nichts an der Tatsache, dass das, was Jesus und die Apostel verkündeten, nicht so eintrat.

Betrand Russell, ein Atheist, greift die Inspiration der Bibel in seinem Buch "Why I Am Not A Christian" ("Warum ich kein Christ bin") an, indem er schreibt:

"Deshalb beschäftige ich mich ... mit Christus, wie er in den Evangelien auftritt, wobei ich die Erzählungen der Evangelien so nehme, wie sie geschrieben stehen. ... Zunächst einmal glaubte er gewiss, dass er noch vor dem Tode aller seiner Zeitgenossen in Wolken der Glorie wiederkehren würde. Es gibt viele Textstellen, die das beweisen ... in denen es ganz deutlich ist, dass er der Meinung war, er werde zu Lebzeiten vieler damals Lebender wiederkehren. Das war auch der Glaube seiner frühen Anhänger und die Grundlage eines großen Teils seiner Sittenlehre. ..."

Russell erwähnt dann, es wäre irrig, einem religiösen Führer (wie Jesus) zu folgen, wenn dieser bzgl. einer solch grundlegenden Voraussage wie seiner Ankunft [parousia] falsch lag (vgl. http://www.atheisten-info.at/downloads/russell.pdf, S. 4)

Albert Schweitzer fasst in seinem frühen Buch "The Quest for the Historical Jesus" das Problem der "Parousia Verzögerung" zusammen mit:

"The whole history of Christianity down to the present day... is based on the delay of the Parousia, the nonoccurrence of the Parousia, the abandonment of eschatology, the process and completion of the 'de-eschatologizing' of religion which has been connected therewith."

Bemerkenswert ist auch, was C.S. Lewis, ein anerkannter Christ und Apologetiker und Autor in einem Essay im Jahre 1960 schrieb in dem Essay "The World's Last Night" (1960), aus "The Essential C.S. Lewis" (S. 385):

"'Say what you like,' we shall be told, 'the apocalyptic beliefs of the first Christians have been proved to be false. It is clear from the New Testament that they all expected the Second Coming in their own lifetime. And, worse still, they had a reason, and one which you will find very embarrassing. Their Master had told them so. He shared, and indeed created, their delusion. He said in so many words, 'this generation shall not pass till all these things be done.' And He was wrong. He clearly knew no more about the end of the world than anyone else.' It is certainly the most embarrassing verse in the Bible."

Kritiker aus dem Judentum führen an, dass Jesus seine Messias Mission nicht innerhalb des von den Propheten angezeigten Zeitrahmens erfüllte, und sie behaupten dann, dass das Christentum die Idee eines "zweiten Kommens in der fernen Zukunft" erfunden hat, um Jesu Versagen, zum vorhergesagten Zeit zurückzukommen, zu vertuschen. Für viele Juden ist diese Sache ein Hauptgrund, um das Christentum zu verharmlosen und Jesus als Messias abzulehnen.

Islamische Kritiker porträtieren das Christentum als eine falsche Religion, die versagt hat. Sie erkennen an, dass Jesus ein Prophet war, aber seine Göttlichkeit und seine Glaubwürdigkeit wird abgelehnt, indem auf Irrtümer und Widersprüche im Hinblick auf sein offensichtliches Nicht-Erscheinen hingewiesen wird. Der Islam erkennt die logischen Folgen der Zeitangaben in der Bibel auf den Anspruch Jesu als Gottes Sohn und Messias. Muslime glauben, Jesus und seine Apostel hätten entweder gelogen bzgl. des nahe bevorstehenden Kommens Jesu und anderer eschatologischer Punkte, oder Jesus hätte Dinge vorausgesagt, die aber nicht zu der Zeit erfüllt wurden, zu der er ihre Erfüllung ankündigte. All dies macht Jesus zu einem unzuverlässigen bzw. falschen Propheten.

All diese Kritiken und Anmerkungen, selbst die Ausführungen von C.S. Lewis, sagen eigentlich aus, dass Jesus unrecht hatte im Hinblick auf die zeitlichen Angaben in seinen verschiedenen Voraussagen zu seinem Kommen. Die Kritik erscheint an sich stichhaltig, denn die Aussagen Jesu und der Apostel sind klar und deutlich ... und was allgemein im Christentum gelehrt wird bzgl. des Kommens Christi bedeutet letztlich, dass Jesus und die Apostel Fehler machten und Falsches lehrten. Das aber kann nicht sein, und alle christlichen Lehrer weisen dann auch eine solche Folgerung aus ihren Lehren sofort zurück, aber andererseits behaupten sie weiterhin, Jesu Kommen sei noch nicht geschehen. Was ist da los?

Die meisten evangelikalen Christen stimmen überein und behaupten, dass Jesus nicht kam, wie und wann er es vorausgesagt hatte, nämlich in jener Generation im 1. Jahrhundert AD. Ihre gängigen Erklärungen für diese Behauptung sind, dass Jesu Kommen sich entweder verzögerte oder der Termin verschoben wurde, und das, obwohl biblische Berichte über Jesu Kommen deutlich werden lassen, dass es keine Verzögerung oder Verschiebung geben würde.

Matthäus 24,48-50
48 Wenn aber jener als ein böser Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht,
49 und fängt an, seine Mitknechte zu schlagen, ißt und trinkt mit den Betrunkenen:
50 dann wird der Herr dieses Knechts kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt,

Hebräer 10,37
Denn »nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben.

2. Petrus 3,9
Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine Verzögerung halten; sondern er hat Geduld mit euch und will nicht, daß jemand verloren werde, sondern daß jedermann zur Buße finde.

Offenbarung 10,6
und schwor bei dem, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit, der den Himmel geschaffen hat und was darin ist, und die Erde und was darin ist, und das Meer und was darin ist: Es soll hinfort keine Zeit [keine Frist] mehr sein,

Eine andere Erklärung ist, die Zeitangaben wären von den ersten Christen wohl nicht richtig verstanden worden, und erst mit dem Beistand des heiligen Geistes später würden die Dinge dann klar werden.

Johannes 14,26
Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.

Eine solche Argumentation unterschlägt dabei völlig, dass ja doch eben diese Jünger bereits ab dem Tag der Pfingsten heiligen Geist als Gabe Gottes empfangen hatten!

Eine weitere Idee ist, dass Jesus "irgendwann bald" kommen wird und seine Mission dann vollendet. Angeblich soll "bald" eben relativ sein und so jede Generation "wachsam" leben lassen, weil ja Jesus "bald" kommen könnte.

Solche Ideen aber können die Kritiker zu Recht nicht zufrieden stellen und bieten keine auf die Schrift gegründete Erklärung. Mit diesen Erklärungsversuchen wird eher nur noch mehr Öl ins Feuer der Kritiker gegossen. Solche Ideen einer Verzögerung und eines falschen Zeitverständnisses widersprechen den klaren Aussagen der Lehren Jesu und der Apostel, und liefern den Kritikern lediglich noch mehr Munition, Jesus als falschen Propheten zu bezeichnen und sich über das Christentum lustig zu machen.

Die Sache ist an sich klar: Jesus und die Apostel machten klare, deutliche und an sich einfach zu verstehende Voraussagen bzgl. des zukünftigen Kommens Christi in Herrlichkeit. Die Behauptungen von fast allen Christen besagen aber, dass diese nicht zustande kamen. Für ein solches "Nichtzustandekommen" geben die gängigen Erläuterungen keine wirkliche und biblisch logische und legitime Erklärung. Falls es bislang das vorausgesagte Kommen Christi nicht gab, gibt es auf jeden Fall Irrtümer in der Schrift. Entweder haben sich Jesus und die Apostel geirrt mit ihren Voraussagen, oder die Gläubigen der frühen Gemeinde haben sich geirrt in dem, was sie verstanden und glaubten, wobei deren Irrtum aber ebenfalls wieder zumindest auf die Apostel zurückfällt, die es dann ja versäumt hätten, einen solchen Irrtum zu korrigieren.

Wo liegt nun der wirkliche Irrtum?

Die einzige biblisch vernünftige Antwort auf dieses Dilemma, welches durch das angebliche Nichtzustandekommen der Prophezeiungen verursacht wird, ist: Die Prophezeiungen sind eingetroffen!

Zunächst einmal muss man sich über eines klar sein: All die Behauptungen und Lehren, das Kommen des Herrn sei bisher nicht erfolgt, sind ja nicht, was die Bibel selbst aussagt! Sie sind zwar, was die große Mehrheit des Christentums behauptet, lehrt und glaubt, aber sie sind nicht, was die Bibel selbst irgendwo aussagt. Es sind nicht biblische Aussagen, welche das Dilemma verursachen, sondern es sind diese gängigen Behauptungen, dass das Kommen des Herrn nicht wie vorausgesagt eingetroffen sei, welche erst das Dilemma hervorrufen! Nur, warum sollten wir diesen problematischen Behauptungen glauben? Sollten wir uns nicht besser auf das verlassen, was in der Schrift selbst gesagt ist?

Die Antwort auf das Dilemma ist direkt vor unseren Augen: Jesus hat genau das vorausgesagt, was dann auch so eintrat! Jesu Worte sind wahr, sie sind in sich schlüssig und keine seiner Aussagen ist widersprüchlich. Die Aussagen in der Schrift sind konsequent und nicht widersprüchlich, und trafen so ein, wie sie gemacht wurden.

Ist es nicht merkwürdig, dass viele Christen anscheinend kein Problem darin sehen, den Lehren von Menschen und traditionellen Dogmen zu glauben, die im Widerspruch zum biblischen Bericht stehen und Jesus und die Apostel im Irrtum erscheinen lassen, dann aber ein Problem darin sehen, das zu glauben, was der biblische Bericht selbst sagt? Warum lassen wir zu, nicht das zu glauben, was wir in der Schrift als Jesu Worte und der Apostel Worte lesen? Warum erlauben wir es, dass uns von Lehrern und Theologen die klaren und deutlichen Angaben zu zeitlichen Faktoren im Kontext des Kommens des Herrn als "falsch" oder "inkorrekt" interpretiert werden?

Der Irrtum im Hinblick auf die Zeit des Kommens Christi liegt nicht bei Jesus Christus oder den Aposteln, sondern bei denen, die ihren Worten nicht glauben bzw. diese selbst offensichtlich inkorrekt verstehen und dann behaupten, die Prophezeiungen seien nicht eingetroffen. Wenn wir die biblischen Berichte und die darin gemachten Zeitangaben zum Kommen des Herrn lesen und nüchtern auf das achten, was uns darin mitgeteilt wird, ergibt sich ein klares und verständliches, mit der Bibel insgesamt in Einklang stehendes Bild: Die eschatologischen (endzeitlichen) Ereignisse kamen wie vorausgesagt zustande! Das Kommen des Herrn und Ende des Äons ereignete sich in den letzten Tagen jenes biblischen Zeitalters (Äons) und jener Generation der damals lebenden Gläubigen.

Hebräer 1,1-2
1 Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten,
2 hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat.

Das "Ende der Welt [des Äons]" und "Ende der Tage" ist nicht irgendwann in unserer Zukunft, sondern war am Ende des AT Zeitalters, als Jesus lebte und wirkte.

Jesus blieb auch nicht aus, sondern kam wieder genau, wie er vorausgesagt hatte

Hebräer 10,37
Denn »nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben.

Zum Zeitpunkt der Niederschrift des Briefs an die Hebräer, traf folgende Wahrheit zu: "Denn »nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben!". Die Aussage der Schrift ist eindeutig: Er wird NICHT ausbleiben! Die Aussage der meisten Christen dagegen ist genau das Gegenteil: "Er ist ausgeblieben." Wer verkündet wohl die Wahrheit?!

Genau wie Jesus es vorausgesagt hatte, ereignete sich sein Kommen im Zusammenhang mit der Verwüstung Jerusalems und des Tempels (vgl. die Studie zu Das "zweite Kommen" Christi).

Diese Ansicht, dass die eschatologischen Ereignisse so eingetreten sind, wie sie von Jesus und den Aposteln vorausgesagt wurden, ist die Position, welche Christi Glaubwürdigkeit nicht in Frage stellt, sondern würdigt; es ist die Position, welche das Zeugnis der Schrift anerkennt und eine echte Antwort auf die Angriffe der Kritiker und Skeptiker bietet.

Ein großes Problem für viele wird sein, dass die große Mehrheit der Christenheit an einer futuristischen Position festhält und alle eschatologischen Ereignisse in eine auch aus unserer Perspektive noch zukünftige Zeit legt und scheinbar biblische Argumente für eine solche Ansicht vorbringt. Allerdings erweisen sich diese Argumente nicht als stichhaltig, ja sogar als widersprüchlich zur Bibel, indem sie Jesus und die Apostel eigentlich als falsche Propheten hinstellen. Die futuristische Ansicht leugnet, dass Jesu Voraussagen so eingetreten sind, wie er es prophezeite. Wäre das wirklich der Fall, dann wäre Jesus gemäß der Vorgaben in 5Mo ein falscher Prophet.

5. Mose 18,22
wenn der Prophet redet in dem Namen des HERRN und es wird nichts daraus und es tritt nicht ein, dann ist das ein Wort, das der HERR nicht geredet hat. Der Prophet hat's aus Vermessenheit geredet; darum scheue dich nicht vor ihm.

Gott sei gedankt, dass diese Ansicht einer weiterhin zukünftigen Erfüllung von Voraussagen bzgl. des Kommens des Herrn nicht wahr ist, sondern dass Jesu Voraussagen genau so eingetreten sind, wie er es voraussagte. Der zeitliche Rahmen von "diese Generation" wurde eingehalten, und das Kommen Christi ereignete sich ca. 40 Jahre später, in den Ereignissen bei der Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Jahre 70 n.Chr.

 

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