von
Wolfgang Schneider
1. Mose 22,1
Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich.
Jakobus 1,13
Niemand sage, wenn er versucht wird, daß er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand.
Die zwei hier angeführten Schriftstellen scheinen sich in der Tat zu widersprechen. Einmal heißt es, Gott habe Abraham versucht; andererseits wird gesagt, Gott selbst versuche niemanden. Um diesen scheinbaren Widerspruch zu lösen, gilt es vor allem zu beurteilen, worin die Ursache für einen solchen Widerspruch liegt; dann lässt sich bestimmen, welche der Aussagen entweder zu korrigieren oder vielleicht anders zu verstehen ist, womit sich der Widerspruch dann auflöst.
Jakobus 1,13 legt den allgemeinen Sachverhalt und die Wahrheit bzgl. Gott und Versuchung sehr genau und in klaren Worten dar: Niemand soll sagen, er werde von Gott versucht, da es Gott unmöglich ist, selbst jemanden zu versuchen, wobei "versuchen" noch näher definiert wird als ein "versucht werden zum Bösen". Das ist sicher, was meist unter "jemanden versuchen" verstanden wird, und Gott kann und wird niemals jemanden zum Bösen versuchen. Solch eine Versuchung hat ihren Ursprung nicht bei Gott, sondern dient schließlich und endlich immer dem Ziel, den Menschen von Gott weg und zu ungöttlichem Tun zu verleiten. Solches würde Gott selbst niemals tun!
Nun stellt 1. Mose 22,1 fest, dass Gott Abraham "versuchte". Worum ging es hier? Was bedeutet daher "versuchen" in diesem Kontext? Abraham wurde von Gott aufgetragen, seinen Sohn Isaak Gott als Opfer darzubringen. Auf dieses Geschehen wird an anderen Stellen in der Bibel Bezug genommen, und in Heb 11 heißt es dazu, dass Abraham Gott glaubte und vertraute und Isaak durch Glauben opferte. Was Gott von Abraham bei dieser "Versuchung" verlangte, war nicht etwas, was bei Abraham Ungehorsam gegenüber Gott verursacht hätte, sondern es war umgekehrt etwas, was in ganz besonderer Weise Gehorsam und Glauben erforderte.
Das bedeutet somit, dass dem Wort "versuchte" hier eine gänzliche andere Bedeutung zugrunde liegt, als es etwa in Jakobus 1,13 der Fall ist. Hier bezeichnet "versuchen" ein Prüfen bzw. Testen, ein sich Bewähren.
Diese Sache war ein Test, eine Prüfung für Abraham - wie aus dem weiteren Verlauf der Ereignisse deutlich wird. Es war kein Ernstfall sondern ein Test, so erklärt sich auch, dass Gott ja gar nicht wollte, dass Isaak tatsächlich sterben sollte. Abraham bestand diesen Test mit Bravour, er vertraute und glaubte Gott bis hin zu dem Punkt, dass er überzeugt war, dass Gott Isaak bald nach dem Opfertod wieder von den Toten auferwecken würde, wie der Bericht in Heb 11 andeutet. Immerhin, nur so konnten ja Gottes Anweisung, Isaak als Opfer zu töten, und Gottes Verheißung, dass aus Isaak der Nachkomme Abrahams hervorgehen würde, wahr sein! Isaak hatte noch keine Nachkommen, und nun sollte er als Opfer sterben. Welch ein Glaube und welches Vertrauen Abraham in seinen Gott hatte!
Gott hat Abraham nicht zum Bösen versucht, da er das gar nicht tun kann. Gott trug Abraham etwas auf, was als Teil seines gesamten Erlösungsplanes notwendig war und was für Abraham ein ungeheurer Test, eine gewaltige Prüfung war. Man muss erkennen, dass rein sprachlich in den zwei Versen unterschiedliche Gebräuche des Wortes "versuchen" vorliegen. "Versuchen" bedeutet im einen Fall so viel wie "prüfen, testen" in einem guten Sinne; im anderen Falle bezieht es sich auf ein "versuchen, verleiten" zum Bösen.
So löst sich dieser scheinbare Widerspruch leicht auf, und wir können einige großartige Wahrheiten bzgl. Gott glauben und Gott vertrauen aus dem Beispiel Abrahams lernen.