Matthäus 27,5
Und er [Judas Iskariot] warf die Silberlinge in den Tempel, ging fort und erhängte sich.

Lukas 24,33-36
33 Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren;
34 die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen.
35 Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, als er das Brot brach.
36 Als sie aber davon redeten, trat er selbst, Jesus, mitten unter sie und sprach zu ihnen: Friede sei mit euch!

Johannes 20,24
Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.

Johannes 20,26
Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!

In Matthäus 27 wird berichtet, dass Judas nach seinem Verrat die Silberlinge in den Tempel warf und sich erhängte. In Lukas erschien Jesus den Elf noch am Tage nach der Auferstehung (Lukas 24,33-36), wobei aber Johannes berichtet, dass Thomas bei dieser Erscheinung Jesu vor den Elf nicht dabei war (Joh 20,24) und dass Jesus erst über eine Woche später wiederum seinen Jüngern erschien und erst dann Thomas ebenfalls anwesend war (Joh 20,26). Wie aber kann Jesus den Elf erscheinen, wenn Judas sich bereits umgebracht hat und Thomas nicht anwesend ist?

Das Problem liegt in einer Annahme, durch die dieser scheinbare Widerspruch erst fabriziert wird. Die weit verbreitete Annahme ist die, dass Judas sich sofort bzw. sehr bald nach seinem Verrat umbrachte. Um den scheinbaren Widerspruch zu lösen, ist es notwendig, die Berichte über Judas genauer zu untersuchen und zu klären, wann sich Judas überhaupt umgebracht hat.

Lukas 24,33-36 berichtet, dass Jesus den Elf erschien und aus Johannes 20,24 wird ersichtlich, dass bei diesem Ereignis Thomas abwesend war. Wenn Jesus 11 von den 12 Aposteln erschien, und wenn laut Johannes 20,24 Thomas fehlte, so steht eigentlich fest, dass Judas zu jenem Zeitpunkt offensichtlich am Leben und auch anwesend war. Bzgl. der Erscheinung eine Woche später heißt es nur, dass Jesus seinen "Jüngern" erschien und dass Thomas diesmal dabei war.

Dass Judas auch nach der Auferstehung Jesu noch am Leben war und zum Kreis der Apostel zählte, wird auch noch aus anderen Stellen deutlich, wo die Schrift erwähnt, dass Jesus nach seiner Auferstehung von den Zwölfen (und nicht nur, wie fälschlich immer einfach automatisch angenommen, den Elf) gesehen wurde (vgl. dazu 1. Korinther 15,51Kor 15,5
und daß er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen.
).

In Matthäus 27,5 heißt es über Judas: "Und er warf die Silberlinge in den Tempel, ging fort und erhängte sich." Dies wird meist so verstanden, als hätte sich Judas sofort, unmittelbar nachdem er die Silberlinge in den Tempel geworfen hatte, umgebracht. Allerdings wird im Text kein solches Zeitelement angegeben. Aus Apostelgeschichte 1,18Apg 1,18
Der hat einen Acker erworben mit dem Lohn für seine Ungerechtigkeit. Aber er ist vornüber gestürzt und mitten entzwei geborsten, so daß alle seine Eingeweide hervorquollen.
- den Worten des Petrus in den Tagen zwischen der Himmelfahrt Jesu und Pfingsten scheint es dagegen so, als habe Judas sich erst zu der Zeit auf seinem eigenen Acker umgebracht, den er mit dem "Lohn für seine Ungerechtigkeit" erworben hatte (bei diesem Lohn für seine Ungerechtigkeit kann es sich übrigens nicht um die 30 Silberlinge handeln, die er von den Hohenpriestern für seinen Verrat erhalten hatte, denn die warf er laut Matthäus 27,5 in den Tempel!).

Wir sollten auch noch beachten, dass das Wort für "erhängte sich" mit "war sehr bedrückt" übersetzt und verstanden werden könnte, wobei es uns beschreibt, wie Judas angesichts der Situation anscheinend emotional gewaltig unter Druck stand. Es wird klar, insbesondere bei einer Berücksichtigung der anderen Stellen, dass der Begriff nicht zwingend anzeigt, dass Judas sich bereits zu diesem Zeitpunkt durch Erhängen umbrachte.

Der Bericht in Apostelgeschichte 1 erwähnt zunächst, dass Jesus mit den "Aposteln, die er erwählt hatte" zusammen war. Das waren die ursprünglichen 12 Apostel, Judas eingeschlossen (vgl. Lukas 6,13-16Lk 6,13-16
13 Und als es Tag wurde, rief er seine Jünger und erwählte zwölf von ihnen, die er auch Apostel nannte: 14 Simon, den er auch Petrus nannte, und Andreas, seinen Bruder, Jakobus und Johannes; Philippus und Bartholomäus; 15 Matthäus und Thomas; Jakobus, den Sohn des Alphäus, und Simon, genannt der Zelot; 16 Judas, den Sohn des Jakobus, und Judas Iskariot, der zum Verräter wurde.
). Diese waren offenbar auch noch bis kurz vor oder sogar bei seiner Himmelfahrt mit ihm zusammen. Erst direkt nach der Aufnahme Jesu in den Himmel ist ein Wechsel des Geschehens erkennbar in den Worten der zwei Männer (Engel), die zu den Aposteln sprechen und sie anreden mit: "Ihr Männer von Galiläa "" (Apostelgeschichte 1,11). Judas stammte aus Keriot in Judäa, er war der einzige der 12 Apostel, der nicht aus Galiläa stammte, und der sich zu jenem Zeitpunkt offenbar vom Ort dieses Geschehens entfernt hatte. Als die zurückgebliebenen Apostel sich dann nach Jerusalem begeben, werden sie namentlich aufgeführt, und erst in dieser Aufzählung fehlt dann Judas Iskariot.

Judas war während der 40 Tage, in denen sich Jesus als der Lebendige seinen Jüngern gezeigt hatte, wieder im Kreis der Jünger und Apostel vertreten. Es ist schon bemerkenswert zu sehen, welch große Bereitschaft zu vergeben Jesus hatte und mit welcher Liebe er wandelte. Auch Judas galten die Verheißungen, die Jesus den Aposteln gab; aber Judas war anscheinend nicht bereit, die bereitstehende Vergebung anzunehmen und sein Leben zu ändern, stattdessen verstrickte er sich immer mehr in Selbstverdammnis und Selbstmitleid, was ihn schließlich dazu trieb, sich selbst umzubringen.

Übersicht Widersprüche