von
Wolfgang Schneider
Matthäus 6,13
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]
Jakobus 1,13
Niemand sage, wenn er versucht wird, daß er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand.
Unter Christen wird auch heute manchmal gelehrt, dass Gott Menschen versucht, sie in Versuchung führt, ähnlich wie das sonst eigentlich nur dem Teufel zugesprochen wird. Andererseits gibt es Schriftstellen, die ganz eindeutig darauf hinweisen, dass Gott den Menschen nicht versucht. Wie löst sich dieser scheinbare Widerspruch?
Zunächst sollte man beachten, dass die weitaus meisten Stellen in der Schrift, an denen von "Versuchung" gesprochen wird, eindeutig auch festhalten, dass nicht Gott, sondern der Teufel ("der Versucher") jeweils derjenige ist, der Menschen versucht. "Versuchung" ist in diesen Fällen immer eine Sache, mittels der Menschen von Gott und Gottes Wort getrennt werden sollen, die als Mittel dazu dient, Menschen zum Ungehorsam gegenüber Gott zu bewegen. Gott würde selbstverständlich niemanden dazu bringen wollen!
Daher lässt sich sagen, dass die Aussage in Jakobus 1,13 den Sachverhalt und die Wahrheit genau und in klaren Worten ausdrücken. Es gilt daher, die scheinbar widersprüchliche Aussage in Matthäus 6,13 (wie dann auch andere Stellen, die zu sagen scheinen, dass Gott doch andere versucht) zu erarbeiten, um zu sehen, wie sie richtig zu verstehen ist, so dass kein Widerspruch existiert.
Allgemein muss man beachten, dass augenscheinliche Widersprüche in der Bibel immer entweder auf falschem Verständnis von unserer Seite oder aber auf falscher Übersetzung aus dem Urtext beruhen. Wie lässt sich das Problem mit Matthäus 6,13 nun lösen?
Die Bedeutung des Begriffs "Versuchung, versuchen" muss richtig verstanden werden. Es gibt Stellen, wo "versuchen" nicht im Sinne von "zum Bösen versuchen" benutzt wird, sondern ein Prüfen, Testen, Probieren bezeichnet. In solchem positiven Sinne kann auch Gott jemanden testen, auf die Probe stellen, usw. Er wird nur niemanden je im negativen Sinne versuchen, wie es der Widersacher tut. Wie die Fortsetzung von Matthäus 6,13 zeigt, ist hier aber von einer Versuchung zum Bösen die Rede, denn die parallele Bitte zu "führe uns nicht in Versuchung" ist "erlöse uns von dem Bösen".
Die Lösung liegt daher in einer anderen Sache. Wenn etwas im Wort Gottes nicht wörtlich - also nicht im buchstäblichen Sinne - zutrifft, und somit nicht tatsächlich de facto stimmt, liegt eine Redefigur im Text vor, die es unbedingt zu beachten gilt, wenn man eine Stelle richtig verstehen und auslegen will. Wie Jakaobus 1,13 feststellt, versucht Gott niemand. Daher muss in Matthäus 6,13 eine Redefigur vorliegen, denn Gott kann uns ja gar nicht im buchstäblichen Sinne in Versuchung führen.
Diese Aussage in dem Gebt in Matthäus 6 benutzt eine Redefigur, und zwar die Redefigur Metonymie; dazu handelt es sich um einen idiomatischen Ausdruck, ein Idiom, bei dem zwar Gott der aktiv Versuchende zu sein scheint, es aber eigentlich dennoch nicht ist. Der eigentliche Sinn ist vielmehr: "und lass nicht zu, dass wir in Versuchung geführt werden" bzw. "bewahre uns davor, in Versuchung geführt zu werden."
Gott ist niemals der Versucher. Er ist es nicht, der uns in die Versuchung hineinführen würde; Er kann uns vielmehr helfen, Versuchungen zu entfliehen, und Er kann uns vor Versuchungen bewahren. Jesus machte dies in diesem Beispielgebet deutlich, als er den Ausdruck "und führe uns nicht in Versuchung" in sein Gebet mit einschloss. Gott macht einen Weg, Er stellt uns Möglichkeiten bereit, Versuchungen zu entfliehen bzw. in ihnen zu bestehen und sie zu überwinden, wenn wir uns im Gebet an ihn wenden.