von
Wolfgang Schneider
Matthäus 27,32
Und als sie hinausgingen, fanden sie einen Menschen aus Kyrene mit Namen Simon; den zwangen sie, daß er ihm sein
Kreuz trug.
Johannes 19,16.17
Da überantwortete er ihnen Jesus, daß er gekreuzigt würde.
Und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf hebräisch
Golgatha.
Die zitierten Schriftstellen scheinen auf den ersten Blick einen eindeutigen Widerspruch darzustellen, aber auch hier gibt es eigentlich keinen Widerspruch in der Bibel. Dieser Widerspruch ist selbst gefertigt, weil man vermutet und Dinge annimmt, die einem von traditionelle Lehre und von vielen Bildern her bekannt sind. Der biblische Bericht in sich ist erweist sich auch hier als absolut eindeutig und frei von Widersprüchen.
Wenn man die Berichte in Matthäus 27,32 (wie auch in Markus 15,21) und in Lukas 23,26 beachtet, erhält man ein genaues Bild von dem, was sich an jenem Morgen in Jerusalem zutrug. Als Jesus von den Soldaten zur Hinrichtung abgeführt werden sollte und sie aus dem Prätorium herauskamen, ergriffen sie einen Fremden, der gerade vorüberging, damit dieser Jesus das hölzerne Kreuz nachtragen sollte. Nirgends in diesen drei Versen, noch in den jeweils nachfolgenden Versen über das, was sich auf dem Wege nach Golgatha ereignete, wird berichtet, dass Jesus selbst das hölzerne Kreuz getragen hätte. Er kam erst mit dem hölzernen Stamm in Berührung, als man ihn nach der Ankunft auf Golgatha an den Holzpfahl nagelte. Nach der Folter und den Schmerzen, die man ihm während seiner Verhöre und danach angetan hatte, war er offensichtlich von seinem Leiden so geschwächt, dass er überhaupt nicht in der Lage war, den hölzernen Stamm selbst zu tragen, weshalb die Soldaten ja sofort am Ausgang des Prätoriums einen anderen dazu zwangen.
Der Bericht in Johannes 19,17 spricht dagegen von "er trug sein Kreuz". Aus den Berichten in den anderen Evangelien ist klar, dass sich "sein Kreuz" nicht auf den hölzernen Stamm beziehen kann, der ja von Simon von Kyrene ihm nachgetragen wurde, daher muss sich "sein Kreuz" auf etwas anderes beziehen.
Das Wort für "Kreuz" wurde von Jesus selbst noch in einer anderen Bedeutung benutzt, als er gegenüber seinen Jüngern davon redete, dass ein jeder "sein Kreuz" auf sich nehmen müsse und nur so Jesu Jünger sein könne
Matthäus 10,38
Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.
Matthäus 16,24
Da sprach Jesus zu seinen Jüngern: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.
Ähnliches wird berichtet in Markus 8,34Mk 8,34
Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.; Lukas 9,23Lk 9,23
Da sprach er zu ihnen allen: Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach. und Lukas 14,27Lk 14,27
Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.. Offensichtlich redete Jesus dabei nicht von einem hölzernen Pfahl, einem Holzstamm, an den ein jeder sein Jünger genagelt und auf diese Weise hingerichtet würde. In diesen Versen liegt der gleiche Sprachgebrauch des Wortes "Kreuz" vor, wie in Johannes 19,17, wo es heißt, Jesus habe "sein Kreuz" getragen! Was er von seinen Jüngern verlangte, hat er selbst in seinem Leben vorgelebt und erfüllt -- er nahm "sein Kreuz" auf sich, erfüllte die ihm auferlegte Aufgabe. "Sein Kreuz" war nicht ein Holzstamm, sondern das Werk der Erlösung, das er in
Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, seines Vaters, vollendete, indem er sein Leben auf Golgatha als Lösegeld für viele dahin gab.
Der scheinbare Widerspruch zwischen der Aussage in Johannes 19,17 und den Berichten über Jesu Hinrichtung in den anderen Evangelien löst sich auf, wenn man beachtet, dass das Wort "Kreuz" mit unterschiedlicher Bedeutung gebraucht wird und sich nicht überall im buchstäblichen Sinne auf den Holzstamm bezieht, an dem Jesus gekreuzigt wurde. Einerseits bezieht es sich buchstäblich auf den Holzstamm, den Simon von Kyrene Jesus nachtrug und an dem Jesus dann angenagelt wurde, andererseits wird "Kreuz" mittels einer Redefigur in ganz betonter Weise für das benutzt, was Jesus vollbrachte, als er das Werk, das der Vater ihm aufgetragen hatte, im Gehorsam bis hin zum Tode vollbrachte.