von
Wolfgang Schneider
Bei den Berichten über die Abstammung Jesu Christi fällt vielen Lesern sofort ein scheinbarer Widerspruch bzgl. der Väter Josephs auf.
Matthäus 1,16
Jakob zeugte Josef, den Mann der Maria, von der geboren ist Jesus, der da heißt Christus.
Lukas 3,23
Und Jesus war, als er auftrat, etwa dreißig Jahre alt und wurde gehalten für einen Sohn Josefs, der war ein Sohn Elis,
Dieser scheinbare Widerspruch in den Angaben zu den Vätern für "Josef " ergibt sich dadurch, dass allgemein immer davon ausgegangen wird, dass der in beiden Evangelien erwähnte Josef ein und dieselbe Person ist, nämlich der Ehemann der Maria, der Mutter Jesu Christi.
Bei der Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs muss man beachten, dass sich die Stammbäume in Matthäus und Lukas gleich in mehreren Punkten unterscheiden. Sie dienen offensichtlich unterschiedlichen Zwecken, und zeigen auf, dass Jesus Christus der Sohn Davids und Abrahams (Matthäus) und der Menschensohn (Lukas) ist.
In Matthäus führt der Stammbaum daher von Abraham bis hin zu Christus, in Lukas dagegen von Jesus zurück über Abraham hinaus bis hin zu Adam. In Matthäus wird die Linie zu Christus über seine Mutter Maria angegeben, in Lukas dagegen die Linie von Jesus über seinen angenommenen Vater Josef. Die beiden Linien gehen auf König David zurück, aber über unterschiedliche Söhne Davids. In Matthäus wird der rechtmäßige Anspruch Jesu auf den Thron Davids herausgestellt, da er aufgrund der Abstammung seiner Mutter Maria aus der königlichen Linie Davids (über Salomo) stammt, wohingegen in Lukas aufgezeigt wird, dass auch Jesu "Stiefvater" Josef aus dem Hause Davids war (über dessen Sohn Nathan).
Dass in Matthäus die Linie der Maria (und nicht die ihres Ehemannes Josef) angegeben ist, ergibt sich aus dem Text selbst, der die Linie von Abraham bis Jesus in 3 x 14 Glieder einteilt (Matthäus 1,17Mt 1,17
Alle Glieder von Abraham bis zu David sind vierzehn Glieder. Von David bis zur babylonischen Gefangenschaft sind vierzehn Glieder. Von der babylonischen Gefangenschaft bis zu Christus sind vierzehn Glieder.). Wenn man die angegebenen Glieder entsprechend ordnet, ergeben sich von Abraham bis David 14 Glieder, dann von Salomo bis Jojachin ebenfalls 14 Glieder, aber von Schealtiel bis Christus ergeben sich, falls es sich bei dem Josef um den Ehemann von Maria, der Mutter Jesu, handelt,nur 13 (!) Glieder. Falls der erwähnte Josef aber nicht der Ehemann, sondern der Vater, der maria ist, ergeben sich auch für diese Gruppe 14 Glieder.
Beide Männer mit Namen "Josef" stehen in einer Verbindung zu Maria. Das Wort für "Mann" in Matthäus 1,16 im
griechischen Text (aner) und im aramäischen Text (gavra) bezeichnet zunächst nur einen "erwachsenen
Mann" und kann je nach dem Kontext noch genauer definiert werden (vgl. z.B. Lukas 24,19Lk 24,19
Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk; - Prophet; Apostelgeschichte 3,14Apg 3,14
Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und darum gebeten, daß man euch den Mörder schenke; - Mörder; Römer 7,2Röm 7,2
Denn eine Frau ist an ihren Mann gebunden durch das Gesetz, solange der Mann lebt; wenn aber der Mann stirbt, so ist sie frei von dem Gesetz, das sie an den Mann bindet. - Ehemann, usw.). In Matthäus 1,19 wird übrigens im aramäischen Text für "Mann" das Wort für Ehemann (bala) benutzt.
Aus der Angabe in Matthäus 1,17 über die jeweils 14 Glieder der 3 Abschnitte dieses Stammbaums ergibt sich nun, dass in Matthäus 1,16 dieser Josef - der "Mann der Maria" - nicht ihr Ehemann, sondern vielmehr ihr Vater gewesen sein muss, und die Aussage besser so hätte übersetzt werden sollen.
Damit stehen die in Matthäus gemachten Angaben miteinander in Einklang, und auch der scheinbare Widerspruch zwischen Matthäus und Lukas bzgl. der unterschiedlichen Väter Josefs ist gelöst. Matthäus erwähnt Josef, den Vater der Maria, dessen Vater Jakob war; Lukas erwähnt Josef, den Ehemann der Maria, dessen Vater Eli hieß.
Die oft gegebene Erklärung mit dem Hinweis auf Maria als Erbtochter dagegen löst das Problem mit den 14 Gliedern nicht und kann daher auch nicht korrekt sein. Sie beruht vor allem auf der recht weit verbreiteten Annahme, dass Matthäus das Geschlechtsregister des Josef, Lukas aber das der Maria nenne. In Lukas jedoch wird Maria nicht erwähnt, und wie obige Ausführungen zeigen, wird ihr Ehemann Josef in dem Geschlechtsregister in Matthäus nicht erwähnt. Es ist in der Tat so, dass der Sachverhalt genau umgekehrt ist, und Matthäus die Linie der Maria und Lukas die Linie ihres Ehemannes Josef aufzeigt.