Ausgangspunkt für diese Studie

Diese Studie über „Herzliches Erbarmen" wurde von einer Schriftstelle im Brief an die Kolosser angeregt, wo den Gläubigen der Gemeinde Gottes unter anderem aufgetragen wird, herzliches Erbarmen in ihrem Leben als Christen zu haben.

Kolosser 3,12:
So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, …

Um herzliches Erbarmen anzuziehen, ist es notwendig, daß wir verstehen, was damit aus biblischer Sicht gemeint ist. Was bedeutet „herzliches Erbarmen"? Gibt es Beispiele in der Bibel, wo uns herzliches Erbarmen begegnet, wo uns über Barmherzigkeit und Erbarmen berichtet wird?

Gottes Beispiel

Um Einsicht in dieses Thema zu erlangen, wollen wir zunächst zwei Stellen anschauen, die uns über Gottes Barmherzigkeit und sein Erbarmen berichten.

Epheser 2,4–7:
Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat,
auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht - aus Gnade seid ihr selig geworden -;
und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus,
damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.

Gott ist ein Gott, der reich ist an Barmherzigkeit. Seine reiche Barmherzigkeit zeigte sich in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat. Diese große Liebe kam darin zum Ausdruck, daß Gott seinen eingeborenen Sohn für uns gab.

Johannes 3,16:
Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, …

Das Wesen der Barmherzigkeit kommt darin zum Ausdruck, daß Gott die Welt, d.h. die Menschen in der Welt, geliebt hat, obwohl sie eigentlich seine Feinde und Sünder sind. Der Mensch hatte nichts anzubieten, was Gottes Liebe verdient gehabt hätte. Im Gegenteil, der Mensch war in Sünde und hatte Strafe verdient. Gerade da setzt Barmherzigkeit an, denn Gott hat dem Menschen die wohlverdiente Strafe erspart, indem er seinen eingeborenen Sohn als Ersatz für uns die Strafe tragen ließ, und so allen anderen Barmherzigkeit erweisen und sie aus Gnade retten konnte.

Gott hat uns zuerst geliebt und uns Barmherzigkeit erwiesen, er ist uns mit herzlichem Erbarmen begegnet. Daher können und sollen wir nun einander lieben und können ebenfalls ein Herz des Erbarmens für andere haben.

1. Johannes 4,7–11:
Ihr Lieben, laßt uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott.
Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.
Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, daß Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.
Darin besteht die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.
Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben.

Wenn wir ein wenig über diese Verse der Schrift nachdenken und uns bewußt machen, was Gott für uns getan hat und in welch großem Ausmaß er sich unser erbarmt hat, dann dürfte es uns nicht sonderlich schwer fallen, herzliches Erbarmen einem andern gegenüber zu haben.

Mauern ums Herz

Wie viele Christen, so haben auch wir wahrscheinlich zunächst nach unserer Bekehrung und Wiedergeburt ein starkes Verlangen gehabt, uns in den Dienst des Herrn zu stellen und weiterzugeben, was Gott an uns gewirkt hat. Wir gehen Dinge mit Enthusiasmus an und widmen uns mit Hingabe der Verkündigung des Evangeliums und der Betreuung anderer, die zum Glauben gekommen sind. Im Herzen haben wir viel Mitgefühl und oft ein großes Verlangen, ja eine leidenschaftliche Hingabe, anderen Bedürftigen zu helfen. Wir scheuen keine Mühe, stellen unsere eigenen Interessen zurück, und die Not eines anderen berührt und motiviert uns zutiefst, daß wir uns der Sache annehmen und aus der Liebe Gottes im Herzen heraus alles Erdenkliche tun, bis dem andern geholfen ist.

Leider aber hält sich dieses Interesse nicht immer, und selbst während man Gott anbetet und sein Wort liest, auch in manchen Belangen innerhalb der Gemeinde dient und seinen Dienst an Menschen fortsetzt, mag es vorkommen, daß das Mitgefühl, das leidenschaftliche Verlangen, das einst reichlich im Herzen vorhanden war, vielleicht langsam im eigenen Leben mehr und mehr in den Hintergrund rückt oder gar verschwindet. Das geschieht meist sehr langsam, und immer gibt es genügend „Gründe" bzw. „Entschuldigungen", so daß wir uns des Dilemmas erst wirklich bewußt werden, wenn diese Flamme in unserem Herzen fast oder ganz erloschen ist.

Aus was für Gründen auch immer haben wir selbst nach und nach eine Mauer um unser Herz errichtet. Vielleicht war es das Verhalten eines andern, vielleicht eine Situation innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen, vielleicht ein Vorkommnis in der eigenen Familie, vielleicht ein falsches Einschätzen einer Sache — es mag tausend verschiedene Dinge geben, die einen dazu veranlassen, das eigene Herz ein wenig mehr zu verschließen, als es zuvor der Fall war. Vielleicht hat jemand einen beleidigt, vielleicht fiel irgendwo ein böses Wort, vielleicht gab es eine Verfolgung — vielleicht, vielleicht, vielleicht … Zunächst mag man noch denken, man tue sich einen Gefallen und habe absolut recht, sich endlich auf sich allein zu konzentrieren und nur noch mit sich selbst zu beschäftigen, immerhin tut einem dann wenigstens keiner mehr weh. Auf diese Art und Weise sorgt man dafür, daß nach und nach eine dicke Mauer ums eigene Herz errichtet wird, die einen vor solchen Angriffen und Unannehmlichkeiten von seiten anderer Menschen schützt.

Nach einer Weile aber wird man merken, daß einem ein solches Leben „im Schneckenhaus" doch nicht ganz so gut bekommt, vor allem, daß es keine rechte Befriedigung des Herzens gibt, wenn man mit niemandem mehr außer sich selbst so recht zu tun hat. Ergibt sich dann noch ab und zu eine Gelegenheit, wo man eigentlich hätte einem andern helfen können, beginnt sich auch das Gewissen zu melden und man fühlt sich, wenn man ehrlich und aufrichtig mit sich selbst umgeht, absolut miserabel. Was ist geschehen?

Aus oft ängstlicher Sorge um unser eigenes emotionales Wohlbefinden oder vielleicht auch aus Bequemlichkeit und ähnlichen Überlegungen heraus, haben wir mit der Mauer um unser Herz zum Schutz gegen Angriffe leider auch erreicht, daß kaum noch etwas von der früheren Liebe und dem Mitgefühl für andere, die wir im Herzen trugen, nach außen hin vordringen kann. Nach und nach hat sich ein verhärtetes, taubes, sich nicht sorgendes oder gar bitteres Herz entwickelt. Haß, Zorn, Bitterkeit, Selbstsucht und andere Gottlosigkeit haben ihren schlechten Einfluß auf unser christliches Herz der Liebe und des herzlichen Erbarmens geltend gemacht.

Die Attacken des Widersachers sind äußerst listig und sehr gut getarnt. Aber so wie tropfendes Wasser schließlich seinen Effekt auf die darunter liegende Oberfläche hat, wirkt das Böse auf das eigentlich von Gottes Liebe erfüllte und geprägte christliche Herz. Das fortwährende Tropfen zeigt schließlich seine Wirkung. Wenn wir nur auf einen einzelnen Tropfen blicken, alarmiert uns das nicht. Unglücklicherweise muß oft viel vom Leben vergehen, bevor wir darauf achten, wie sehr Satans böse Tropfen unsere von der Liebe Christi erfüllten Herzen übel beeinflußt haben.

Selbst wenn wir dann bemerken, was mit uns geschehen ist, gibt es durchaus „Gründe", und wir können auch passende Entschuldigungen finden — nur, am Ende zählen sie alle doch nichts!

Ganz gleich, wieviel Böses eventuell jemand einem angetan hat, es hätte uns dennoch nicht davon abbringen sollen, Liebe und herzliches Erbarmen in unserem Herzen anzuziehen und zu bewahren. Wie haben wir uns vor unserer Bekehrung Gott gegenüber verhalten? Und doch — er hat uns geliebt und uns reiche Barmherzigkeit widerfahren lassen! Die Angriffe, denen wir in unserem Leben ausgesetzt sind, sind doch eher gering, verglichen mit dem, was die Welt Gott angetan hatte. Und doch hat er die Welt immer noch in einem solchen Maß geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab! Wie kommt es, daß wir dann die Welt um uns herum so hassen? Wenn wir beanspruchen, Gottes Kinder zu sein und ein gottesfürchtiges Leben zu führen, warum sind wir dann so negativ? Warum sind wir so frustriert, böse und sogar von Haß erfüllt? Warum sind uns andere so gleichgültig?

Wir haben keine guten Gründe, keine Entschuldigungen für solches Verhalten, wenn es in unserem Leben vorhanden ist. Gott hat seine Liebe durch den heiligen Geist in unser Herz ausgegossen, als wir wiedergeboren wurden.1 Gott hat uns sein Wort gegeben, das wir in unseren Herzen behalten können, um nicht gegen ihn zu sündigen.2 Wir haben die uns von Gott gegebene Fähigkeit und Verantwortung, unseren Sinn zu erneuern und in Liebe zu wandeln, wie Christus geliebt hat.3 Gott gebietet nicht, etwas zu tun, wozu wir nicht auch die Fähigkeit hätten!

Die Effekte, die andere Menschen oder Satan selbst auf mich haben, die habe ich zugelassen, und ich kann keinen anderen dafür verantwortlich machen. Ich muß, soll und kann meinen bisher eingeschlagenen Weg ändern. Ich bin dank Gottes Hilfe in der Lage, die Mauern um mein Herz einzureißen und mein Herz wieder gegenüber Gott und den Bedürfnissen anderer zu öffnen. Ein Leben in der Liebe und mit herzlichem Erbarmen ist einem Leben hinter einer selbst errichteten Mauer ums eigene Herz weit überlegen.

Wir können ein von Gottes Liebe geprägtes Leben führen. Sicher, die Angriffe und die ständige Beeinflussung durch die böse Welt sind auch weiterhin vorhanden. Wir haben auch weiterhin noch Zeiten der Schwäche und des Versagens. Aber wir haben nun eine klare, bestimmte Lösung, die uns ein von Gottes Segnungen erfülltes Leben ermöglicht.

Herzliches Erbarmen

Kolosser 3,12:
So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld;

Der Ausdruck „herzliches Erbarmen" ist die Übersetzung der zwei griechischen Wörter splagchna oiktirmou und bedeutet wörtlich „Eingeweide des Erbarmens". Splagchna bezeichnet die inneren Organe des menschlichen Körpers, wie etwa Magen, Herz, Lunge, usw. Dieses Wort wird metaphorisch so benutzt, wie wir heute das Wort „Herz" benutzen, etwa wenn wir sagen: „Er hat ein großes Herz" oder: „Er hat ein Herz voller Liebe". Wir reden dann nicht von dem physischen Herzen, das Blut durch die Adern pumpt, sondern von dem Herzen des Verstandes. Auf diese Weise wird auch das Wort „Eingeweide" in dem Ausdruck „Eingeweide des Erbarmens" benutzt. Wir würden heute eher von einem „Herz des Erbarmens" reden bzw. den Ausdruck so benutzen, wie er in der Lutherbibel steht: „herzliches Erbarmen".

Das Wort oiktirmos für „Erbarmen" ist eines von zwei griechischen Wörtern, die im Neuen Testament mit „Erbarmen" oder „Barmherzigkeit" übersetzt werden. Oiktirmos bezeichnet dabei vorwiegend „ein subjektives Mitgefühl, das man empfindet, wenn man Zeuge einer Notsituation wird, ein Gefühl des Unglücklichseins angesichts der Not des anderen."4

Das zweite griechische Wort für Barmherzigkeit oder Erbarmen ist das Wort eleos, es bedeutet „ein Gefühl der Sympathie mit Not oder Elend; ein aktives Mitgefühl; der Wunsch, dem Notleidenden zu helfen, die Not zu lindern, den Bedürftigen zu stärken."5 Erbarmen und Barmherzigkeit bezeichnen mehr als nur ein passives Mitleid oder Bemitleiden. Das Wort „barmherzig" bezeichnete ursprünglich eigentlich „jemand, der ein Herz für die Unglücklichen hat".6

Nächstenliebe und Erbarmen

„Sich erbarmen" bzw. „Barmherzigkeit tun" bedeutet, daß man ein Verständnis und Mitgefühl für andere hat, das sich in Hilfsbereitschaft zeigt und in aktivem Helfen zur Geltung kommt.

Um ein besseres Verständnis davon zu erlangen, wenden wir uns dem zu, was Jesus Christus einem Schriftgelehrten antwortete, der einige gezielte Fragen stellte, um ihn zu versuchen.

Lukas 10,25–29:
Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muß ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe?
Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?
Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst«.
Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben.
Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster?

Dieser Schriftgelehrte wandte sich an Jesus, um ihn mit einer nicht wirklich ernst gemeinten Frage zu versuchen. Jesu Antwort eröffnet uns ein besseres Verständnis von Erbarmen und Nächstenliebe. Der Schriftgelehrte geriet schnell in seine eigene Falle und versuchte sich aus der Schlinge zu befreien. Mit seiner Frage: „Wer ist denn mein Nächster?", meinte er wohl eher: „Wen soll [muß] ich denn lieben?"

Die Frage des Schriftgelehrten, wer denn sein „Nächster" sei, scheint auch heute noch eine Frage für viele zu sein. Es hat Debatten darüber gegeben und Bücher wurden geschrieben. Warum ist das noch immer eine Frage? Was soll mit der Frage erreicht werden?

Jesus Christus ließ keinen Zweifel darüber, welche Gruppe von Leuten es zu lieben galt. Er lehrte: „Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen."7

Wir alle haben unterschiedliche Beziehungen zu Menschen. Es gibt Menschen, die uns besonders nahestehen, etwa unsere Lieben wie Ehegatten, Eltern, Kinder oder auch Christen in der gleichen Gemeinde. Daneben haben wir vielleicht andere Verwandte, und ein wenig entfernter, aber noch recht nahe, sind die Freunde einzuordnen. Danach folgen Bekannte in der Schule und bei der Arbeit, die zwar nicht zu unseren Freunden zählen, mit denen wir aber doch des öfteren reden. Auch gibt es Leute, die wir zwar oft sehen, mit denen wir aber nie reden. Die am weitesten von uns entfernten Leute sind die, die sich als unsere Feinde betrachten.

Wenn Jesus lehrte, die von uns betrachtet am weitesten entfernten Menschen in unseren Beziehungen zu lieben, dann würde er sicherlich erwarten, daß wir die uns näher stehenden lieben.8

Das Wort „Nächster" ist eigentlich leicht zu verstehen. „Nächster" bezeichnet einfach den, der einem nahe ist. Das griechische Wort für „Nächster" wird an anderen Stellen in der Bibel mit „nahe" übersetzt. Wer auch immer einem nahe ist, den sollen wir lieben. Mit wem wir in Kontakt kommen, sei es einer unserer Lieben oder einer unserer Feinde, der ist uns nahe und dem sollten wir mit Liebe begegnen!

Heute, mit unserem modernen Lebensstil, könnte man allzu leicht denken, daß wir „aus der Ferne" das königliche Gesetz9, unseren Nächsten zu lieben, erfüllen könnten. Oft werden wir ermutigt, Bedürftige finanziell zu unterstützen, die Tausende von Kilometern von uns weg sind. Das mag durchaus eine liebevolle Handlung sein, sie kann aber nie als ein Ersatz gelten für das Lieben derer in unserer Gegenwart. Die Betonung bei dem Wort „Nächsten" liegt auf der Nähe.

Wer ist der Nächste?

Auf die erneute Frage des Schriftgelehrten anwortete Jesus mit einer bemerkenswerten Geschichte. Wir werden sehen, wie Jesu Antwort diese großartige Wahrheit verdeutlichte.

Lukas 10,30–32:
Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen.
Es traf sich aber, daß ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber.
Desgleichen auch ein Levit: als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber.

Der Priester und der Levit10 waren religiöse Leute, die für sich beanspruchten, ein gottesfürchtiges Leben zu führen. Dies waren Männer, die angeblich ihr Leben in den Dienst Gottes und seines Volkes gestellt hatten. Sowohl der Priester wie auch der Levit „sah" den Menschen in seiner schlimmen Not. Und doch brachten es diese Männer fertig, in sich selbst eine Entschuldigung zu finden, weshalb sie in der Situation nicht eingreifen und auch nicht helfen wollten. Wie konnte das sein? Wie ist so etwas möglich?

Es mag eine Reihe von Gründen geben: Vielleicht waren sie in Eile? Vielleicht waren sie auf dem Weg zu einer Synagoge, um dort „Bibel" zu unterrichten? Vielleicht dachten sie, daß es unter ihrer „heiligen Berufung zum Dienst im Tempel" war, jemandem zu helfen, der ohne Kleider, verwundet und halbtot dalag? Beide sahen den Mann mit ihren Augen, aber was sie sahen, rief in ihren Herzen keinerlei Hilfsbereitschaft hervor.

Lukas 10,33:
Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn;

Die Samariter wurden von den Judäern als „Hunde" betrachtet, sie wurden von den Judäern als Feinde angesehen. Der Samariter – eigentlich ein „Feind" des halbtoten Judäers – war derjenige, der Mitgefühl hatte. Genau wie die zwei anderen davor, so kam er lediglich an der Stätte vorbei, und er „sah" den Überfallenen am Straßenrand liegen. Anders als die zwei davor aber, bewirkte diese Ansicht etwas in seinem Herzen, was ihn zum Eingreifen bewegte.

Der Mensch in Not „jammerte" ihn. Das griechische Wort für „jammerte" ist das Wort splagchnizomai, das mit dem Wort splagchna für „Eingeweide" verwandt ist. Was er sah, bewegte sein Herz. Es erweckte Erbarmen in ihm, und er begann sofort, sich um den Unglücklichen zu kümmern.

Die Handlungen des Samariters geben uns ein besseres Verständnis von Erbarmen bzw. davon, was es bedeutet, Barmherzigkeit zu erweisen.

Lukas 10,34 und 35:
und er ging zu ihm, goß Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn.
Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme.

Anders als der Priester und der Levit, sah der Samariter mit seinem Herzen und seine Augen waren unbesorgt wegen der Unannehmlichkeiten, die sein Eingreifen ihm verursachen würde. Sein von Herzen kommendes und von echtem Mitgefühl bestimmtes Sorgen und Eingreifen steht in krassem Gegensatz zu der Hartherzigkeit des Priesters und des Leviten. Dieser Bericht zeigt uns auf, daß „Barmherzigkeit tun [sich erbarmen]" bedeutet, weichherzig zu sein, sich zu sorgen um, Hilfe zu gewähren und Langmut zu zeigen, um bis zum Ende und der Lösung durchzuhalten. Der Samariter war willig, seine Zeit, Energie und finanziellen Mittel einzusetzen, um diesem Menschen in Not zu helfen.

Lukas 10,36 und 37:
Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?
Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!

Jesus erteilte diesem Schriftgelehrten mit der Geschichte eine gewaltige Lektion, die weit wirkungsvoller war als eine direkte Antwort auf seine Frage: „Wer ist mein Nächster?"

Wer war wirklich der „Nächste"? Wer hat in der Tat Gott geliebt und seinen Nächsten wie sich selbst? Der Priester und der Levit waren Judäer, sie kamen aus dem gleichen Volk, standen dem Bedürftigen aus dieser Sicht eigentlich wesentlich näher als der Samariter. Es ging aber nicht um diese Sicht! Der Samariter kam wie die anderen ganz einfach bei dem anderen vorbei, befand sich in dessen Nähe, so daß er sehen konnte, was los war — und er unternahm alles ihm Mögliche, um dem Mann in seiner Not und in seinem Elend zu helfen! Er erwies ihm Barmherzigkeit, und das machte ihn zum wahrhaft „Nächsten". Aus diesem Bericht erkennen wir leicht das gottlose Wesen der Hartherzigen, da es verglichen wird mit dem Mitgefühl des sich erbarmenden Herzens.

Wie sieht es nun aus, wenn wir in den Spiegel schauen? Wie sieht es bei uns aus? Sind wir ein „Priester" und ein „Levit" — oder sind wir ein „barmherziger Samariter"? Zeigen wir herzliches Erbarmen, echtes Mitgefühl, oder sind wir hartherzig? Fühlen wir mit dem Herz Christi für die Bedürftigen, oder sind wir blind wie der Priester und der Levit es waren? Versuchen wir uns zu rechtfertigen, weil wir nicht wirklich geliebt haben? Waren wir vielleicht in Eile, um bei einem Treffen, bei einem Bibelkurs oder ähnlichem dabei zu sein? Haben wir es zugelassen, daß das Leben soviel von uns verlangte, daß wir auf der anderen Straßenseite weitergingen, als jemand leise aus seinem Herzen uns um unsere Hilfe anflehte? Haben wir es fertiggebracht, unser Herz zu verschließen, daß es die Not und das Elend des anderen nicht mehr sah? Haben wir etwa sogar einfach weggeschaut? Haben wir womöglich lieber auf uns selbst geschaut und unsere Annehmlichkeiten über die Not des anderen erhoben?

So sollte es nicht sein! Wenn wir so gehandelt haben, sollten und müssen wir Gott um Vergebung ersuchen und ihn bitten, daß er uns helfen möge, von nun an mit einem anderen Herzen zu leben, ein Herz voll Erbarmen zu beweisen, wenn es gilt.

Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer

Gottes Wohlgefallen an Barmherzigkeit, einem Wandel in der Liebe und herzlichem Erbarmen, wird bereits aus dem Alten Testament erkennbar, worauf Jesus mehrmals hinwies.

Matthäus 9,10–13:
Und es begab sich, als er [Jesus] zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.
Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum ißt euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?
Als das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.
Geht aber hin und lernt, was das heißt: »Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.« Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.

Die Pharisäer kritisierten Jesus törichterweise dafür, daß er mit den falschen Leuten zusammen war. Er war jedoch anderen ein „Nächster". Der Herr betrachtete sich selbst als Arzt, der Kranken hilft. Wer sonst braucht einen Arzt, wenn nicht die, die krank sind? Unser Herr hatte ein Herz voll Erbarmen und war bei denen, denen er Hilfe geben konnte. Den Pharisäern, die ihn der schlechten Gesellschaft beschuldigten, sagte er nun, sie sollten hingehen und lernen, was dieses Wort Gottes durch den Propheten bedeutet: »Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.«

Bei einer anderen Gelegenheit waren Jesus und seine Jünger an einem Sabbat hungrig gewesen, und sie hatten Ähren ausgerauft und davon gegessen. Die Pharisäer waren erneut schnell bei der Hand und beschuldigten sie gesetzeswidrigen Verhaltens am Sabbattag. In seiner Entgegnung erwähnte Jesus wiederum dieses Wort der Schrift.

Matthäus 12,7 und 8:
Wenn ihr aber wüßtet, was das heißt: »Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer«, dann hättet ihr die Unschuldigen nicht verdammt.
Der Menschensohn ist ein Herr über den Sabbat.

Die Pharisäer waren hartherzig gegenüber den Bedürfnissen von Menschen, aber recht offen gegenüber Regeln, Gesetzen, Traditionen, Protokoll, Verfahrensweisen und äußerlichen Erscheinungsformen. Sie waren um „Religion" besorgt, nicht aber wirklich um Gott und seine Leute. Wiederum tadelte Jesus sie und sagte ihnen, sie hätten die Bedeutung von: »Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer« nicht verstanden.

Dieser Ausspruch ist ein Zitat aus dem Propheten Hosea.

Hosea 6,4–6:
Was soll ich dir tun, Ephraim? Was soll ich dir tun, Juda? Denn eure Liebe [Barmherzigkeit] ist wie eine Wolke am Morgen und wie der Tau, der frühmorgens vergeht.
Darum schlage ich drein durch die Propheten und töte sie durch die Worte meines Mundes, daß mein Recht wie das Licht hervorkomme.
Denn ich habe Lust an der Liebe [Barmherzigkeit] und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer.

Die Barmherzigkeit, die Liebe für den Nächsten, der Israeliten war flüchtig und schnell vergänglich – wie eine Wolke am Morgen und wie der Morgentau, die beide schnell verschwunden sind.

Gott wollte, daß sie Herzen voll Erbarmens haben sollten, daß sie Gottes Willen kennen und dann tun sollten, was nichts anderes bedeutete, als daß sie Gott und den Nächsten lieben sollten. Gott hatte Lust an der Barmherzigkeit, da sich darin ihre Liebe zu Gott und dem Nächsten bewies. Am Opfer bzw. Brandopfer hatte Gott keine Lust, weil diese nur deshalb notwendig waren, wenn sie Gottes Willen nicht getan hatten.

Gott möchte nicht nur Erbarmen, Barmherzigkeit, von uns, er verlangt bzw. fordert es vom Menschen.

Micha 6,8:
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe [Barmherzigkeit] üben und demütig sein vor deinem Gott.

Die Forderung Gottes ist nicht nur, daß man ab und zu einmal Barmherzigkeit hat, sondern „Barmherzigkeit zu üben". Wir müssen Liebe im Herzen bewahren und sie nach außen hin dem Nächsten erweisen — und es gerne tun!

Römer 12,8:
Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er's gern.

Barmherzigkeit üben sollte, ja muß für uns etwas sein, was wir „gern tun". Das bezeichnet fast eine überschwengliche Freude, mit der wir herzliches Erbarmen zeigen. Gott will, daß wir Barmherzigkeit lieben und gerne Barmherzigkeit üben.

Barmherzigkeit — ohne Schranken

Dem Samariter war es gleich, wer der verwundete Mann am Straßenrand war. Ihn interessierte nicht dessen Herkunft, dessen Status, seine Religion, seine Hautfarbe oder sonstige Merkmale. Was ihn bewegte, war eine Sache — hier war jemand in seiner Gegenwart in einer schlimmen Lage! Diesem war offenbar Schlimmes widerfahren, dieser brauchte jetzt Hilfe! Alles andere war irrelevant!

So wie Gott die Person nicht ansieht und die Sonne auf die Guten wie die Bösen scheinen und den Regen auf die Gerechten wie die Ungerechten fallen läßt, so zeigte auch der Samariter keinerlei Parteilichkeit, als es darum ging zu helfen. Für den barmherzigen Samariter gab es keine Vorurteile. Barmherzigkeit ist blind gegenüber den Vorurteilen von Menschen.

Barmherzigkeit läßt sich auch nicht ablenken durch die Besonderheiten des vorliegenden Bedürfnisses. Der Samariter ließ sich nicht davon abstoßen, daß der Mann unbekleidet, verwundet und halbtot war. Dieser Mann bot sicherlich keinen schönen Anblick. Das sich erbarmende Herz befaßt sich nicht mit der Häßlichkeit des jeweiligen Bedürfnisses. Es greift einfach ein und hilft.

Jesus Christus ist das größte Beispiel für ein Herz voll Erbarmen. Sein Mitgefühl für die Menschheit sah hinweg über Nacktheit, Blut, den unangenehmen Geruch toten Fleisches bei Aussätzigen, oder über den Dreck, der verflizt war in den Haaren des wild um sich blickenden Irren in den Gräbern. Die Unreinheit dieser furchtbar Zugerichteten für Augen, Ohren und Nase hielten Jesus nicht davon ab, ihnen zu helfen.

Manchmal hört man Leute sagen, daß sie Grenzen haben, wenn es darum geht, anderen zu helfen, weil sie mit Leuten, „die so sind", einfach nicht umgehen können. Nun — vielleicht ist das, was der Priester und der Levit dachten? Wie würde einem eine solche Einstellung gefallen, wenn man selbst der geschundene, verletzte und halbtote Mensch am Straßenrand ist?

Als wiedergeborene Gläubige mit einem Herzen voll Erbarmen sehen wir die Person nicht an und sind nicht parteiisch hinsichtlich der Bedürfnisse von Leuten. Wir können uns nun so verhalten, wie Christus es tat. Wenn wir in Gottes Weisheit handeln, so ist unser Herz voll Barmherzigkeit und wir sind unparteiisch und ohne Heuchelei.

Jakobus 3,17:
Die Weisheit aber von oben her ist zuerst lauter, dann friedfertig, gütig, läßt sich etwas sagen, ist reich an Barmherzigkeit und guten Früchten, unparteiisch, ohne Heuchelei.

Wiedergeborene Gläubige sind von Gott geboren, und Gott hat uns unsere Sünde vergeben und uns in Christus gerecht gemacht. Aufgrund dessen können wir nun herzliches Erbarmen anziehen und gerechte Taten wirken, in guten Werken wandeln.

Matthäus 6,1:
Habt acht auf eure Frömmigkeit, daß ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.

„Frömmigkeit" ist übersetzt von dem griechischen Wort dikaiosune, was „Gerechtigkeit" bedeutet. Die gerechten Taten, Werke, die wir nun vollbringen, sollen nicht deshalb getan werden, weil wir von Leuten gesehen oder von Leuten gelobt werden wollen. Die Motivation für eine gerechte Tat sollte immer die Liebe Gottes in unseren Herzen sein.

Unsere gerechten Taten sind vor allem barmherzige Taten, ein Leben mit einem Herzen voll Erbarmen.

Matthäus 6,2–4:
Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.
Wenn du aber Almosen gibst, so laß deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut,
damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.

Das Wort für „Almosen" im griechischen Text ist das Wort elee\mosune, es könnte übersetzt werden mit „barmherzige Taten" oder „Taten des Mitgefühls".

Jegliche barmherzige Taten, die wir tun, um von Menschen gesehen zu werden, werden von Gott als heuchlerisch angesehen. Solche Art Heuchelei ist in unserer Gesellschaft heute weit verbreitet. Wie oft wird z.B. eine scheinbar gerechte oder barmherzige Tat vor einer gerade günstig postierten Fernsehkamera oder in Gegenwart eines Zeitungsreporters vollbracht? Auch verbreitet ist, wie sich Christen oft voreinander „demütig" für ihre guten Werke „loben". Es ist fast wie bei kleinen Kindern, die Bestätigung durch ihre Eltern für die kleinste von ihnen vollbrachte Tat verlangen. Bei Kindern mag das verständlich sein, aber Erwachsene, die anderen wegen des Lobes von Leuten helfen, werden von Gott als Heuchler bezeichnet.

Wenn wir unsere Taten vollbringen, um von Menschen gesehen zu werden, so wird der Beifall, denn wir von ihnen erhalten, alles sein, was wir bekommen werden. Wenn aber unsere Liebe zu Gott, unser Wunsch, seine Gebote zu tun, unsere Motivation ist, dann wird Gott uns belohnen. Wir gehören dann zu denen, die gelernt haben und verstehen, was es heißt, daß Gott Wohlgefallen an Barmherzigkeit hat.

Der erneuerte Sinn

Wie kann man nun herzliches Erbarmen, ein Herz voll Mitgefühl bekommen? Die Stelle in Kolosser 3, wo wir unsere Studie begannen, handelt im Zusammenhang vom erneuerten Sinn.

Uns wird gesagt, wir sollen den alten Menschen mit seinen Taten ausziehen und den neuen Menschen anziehen, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Ebenbild Gottes. Wir sind in Christus eine neue Schöpfung. Wir haben heiligen Geist, Kraft aus der Höhe, erhalten und haben dadurch Anteil an der göttlichen Natur. Wir wurden mit Kraft aus der Höhe ausgestattet, was uns nun einen Wandel in einem neuen Leben ermöglicht. Wir haben geistlich gesehen bereits ein Herz voll Mitgefühl, und unsere Verantwortung ist jetzt, das Alte auszuziehen und das Neue anzuziehen.

Kolosser 3,12:
So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld;

Diese wünschenswerten Qualitäten ziehen wir an „als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten"! Das bestätigt, daß wir als Gläubige an Christus von Gott bereits auserwählt, von ihm geheiligt und geliebt wurden. Auf dieser Grundlage können wir nun unter anderem herzliches Erbarmen anziehen. Wir sind nicht barmherzig, um von Gott auserwählt, geheiligt und geliebt zu werden — wir können vielmehr überhaupt nur Barmherzigkeit erweisen, weil Gott uns gegenüber bereits barmherzig war.

Wir ziehen herzliches Erbarmen an, indem wir Gottes Wort lesen, denken und danach handeln. Der erneuerte Sinn ist unsere Verantwortung, und dank Gottes gnädiger Hilfe können wir Herzen voll Mitgefühl haben. Wir müssen uns entscheiden und bemühen, unseren Sinn zu erneuern und sein Wort in unser Herz aufzunehmen. Wir sollten dann zu Gott beten, daß er uns stärkt und uns hilft, in Situationen sein Wort zu leben. Je mehr wir im Herzen anziehen, was uns in Christus verfügbar ist, um so mehr werden wir Christus ähnlich werden. Indem wir Gottes Wort und die Erkenntnis dessen, was Christus vollbracht hat, in unser Herz aufnehmen und dort bewahren, wird Christus durch Glauben in unseren Herzen wohnen, und wir können verwurzelt und gegründet sein in der Liebe. Dafür kann man beten, wie es auch Paulus für die Gemeinde zu Ephesus tat.11

„Herzliches Erbarmen" wird nochmals im Zusammenhang des erneuerten Sinnes in Philipper erwähnt.

Philipper 2,1–4:
Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit,
so macht meine Freude dadurch vollkommen, daß ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid.
Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst,
und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.

Als wiedergeborene Gläubige haben wir verfügbar „Ermahnung in Christus, Trost der Liebe, Gemeinschaft des Geistes" und auch „herzliche Liebe und Barmherzigkeit". Dieser Ausdruck ist im griechischen Text splagchna kai oiktirmoi und bedeutet wörtlich „Herz und Erbarmen", was wiederum als „ein Herz voll Mitgefühl" verstanden werden kann.12

Barmherzige Taten

Jesus Christus ist das vollkommene Beispiel für jemanden, der immer aus einem Herzen voll Mitgefühl heraus handelte.

Matthäus 9,36–38:
Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben.
Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter.
Darum bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende.

Es „jammerte ihn", und so ermutigte er seine Jünger, für mehr Arbeiter zu beten. Danach sandte er die 12 Apostel aus, um den Bedürftigen zu helfen.

Matthäus 10,1:
Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, daß sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen.

Wiederum sehen wir, daß der sich Erbarmende etwas unternimmt. Ein Herz voll Mitgefühl fühlt nicht nur mit dem anderen, sondern greift ein und hilft.

Jesus Christus ist unser Standard für gute Werke, die einem Herzen voll Mitgefühl entspringen. Die Welt sollte nicht vorschreiben, was barmherzige Taten sind. Unser Herr ist unser Beispiel. Was hat er getan, um Leuten zu helfen? Wir wollen ihn nachahmen. Jesus Christus nutzte auf meisterhafte Weise die sichtbaren Erweise heiligen Geistes, um Leuten zu helfen. Keiner vollbrachte mehr Zeichen, Taten und Wunder. Die Motivation seines meisterlichen Wandels war sein Herz voll Mitgefühl.

In gleicher Weise werden wir, indem wir unser Herz voll Mitgefühl entwickeln, die gleiche Kraft nutzen können. Jesus Christus sagte, daß wir die gleichen Werke tun können, die er tat. Die Realität ist, daß wir, wenn unsere Herzen voller Mitgefühl für andere sind, ein großes Bedürfnis haben, die Erweise des Geistes zu nutzen, weil wir vielen, vielen Menschen dienen können. Unzählige Leute haben große Bedürfnisse, und die Zahl der echten Arbeiter mit einem Herzen voll Erbarmen ist begrenzt.

Gott erwartet von uns, seinen Kindern, daß wir andere lieben. Liebe bringt Tat mit sich. Wir können Gottes Liebe erfassen, wenn uns bewußt wird, daß Jesus Christus sein Leben für uns gab. Gott erwartet nun von uns, daß wir unser Leben für die Brüder geben. Wenn wir jemanden mit einem Bedürfnis sehen, erwartet Gott, daß wir ihm gegenüber herzliches Erbarmen zeigen. Wir sollen nicht nur übers Lieben nachdenken oder reden, sondern in der Liebe handeln.

1. Johannes 3,16–18:
Daran haben wir die Liebe erkannt, daß er sein Leben für uns gelassen hat; und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen.
Wenn aber jemand dieser Welt Güter hat und sieht seinen Bruder darben und schließt sein Herz vor ihm zu, wie bleibt dann die Liebe Gottes in ihm?
Meine Kinder, laßt uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit.

Nochmals schwenkt unser Blick zurück zu der großartigen Wahrheit, die am Anfang dieser Studie stand: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab …" Wenn wir göttliche Männer und Frauen sein wollen, müssen wir auch „also" lieben und herzliches Erbarmen zeigen.

Gott hat keine Hände außer unseren,
um seinen Leuten zu reichen das Brot.
Er hat keine Füße außer unseren,
zu gehen zu denen, die fast sind tot.

"W ir gehören ihm, er ist unser",
das ist, was wir sagen.
Taten beweisen es, nicht bloße Worte;
entscheidend ist, was wir tun
in diesen Tagen.

Wenn nicht herzliches Erbarmen — was?
Wenn nicht wir — wer?
Wenn nicht jetzt — wann?
Wenn nicht aus Liebe — warum?


(1) Römer 5,5: „Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist."

(2) Psalm 119,11: „Ich behalte dein Wort in meinem Herzen, damit ich nicht wider dich sündige."

(3) Epheser 5,1 und 2: „So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch."

(4) Bullinger, E.W. A Critical Lexicon and Concordance to the English and Greek New Testament, „Mercy", Grand Rapids: Zondervan Publishing House, 1978.

(5) Bullinger, E.W., a.a.O., „Mercy"

(6) Herkunftswörterbuch, „barmherzig", Mannheim: Dudenverlag, 1994.

(7) Vgl. Lukas 6,27.

(8) Vgl. dazu Matthäus 5,43–48; Lukas 6,27–38, Epheser 5,1.2 und viele andere Stellen mit ähnlichen Aussagen. Deutlich wird uns im gesamten Wort Gottes die Wahrheit mitgeteilt, daß Gott uns gebietet, unseren Nächsten zu lieben.

(9) Jakobus 2:8: „Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt nach der Schrift: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, so tut ihr recht;"

(10) Leviten waren Diener am Tempel, versahen den Tempeldienst.

(11) Vgl. Epheser 3,14–17: „Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, daß er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, daß Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid."

(12) Das griechische Wort oiktirmos für „Erbarmen" kommt außerdem noch an folgenden Stellen im Neuen Testament vor: Römer 12,1; 2. Korinther 1,3; Hebräer 10,28.

 

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