von
Wolfgang Schneider
Die Frage nach der Allwissenheit Jesu stellt sich natürlich sofort im Zusammenhang mit der Behauptung der Trinitätslehre, dass Jesus Gott ist. Alle drei Personen der Gottheit sind laut dem trinitarischen Glaubensbekenntnis gleich und so muss auf "Gott, den Sohn" selbstverständlich auch zutreffen, dass er allwissend, allmächtig und allgegenwärtig ist. Was erfahren wir in den biblischen Schriften zu dieser Sache?
Diese Studie dient dazu, anhand der biblischen Schriften zu untersuchen, was die Schrift darüber berichtet, ob Jesus allwissend war oder ist. Falls Jesus Gott war oder ist, so muss er laut trinitarischer Lehre allwissend gewesen sein; immerhin, Gottes Allwissenheit steht eigentlich unbestritten fest. Sollten die biblischen Berichte allerdings nicht bestätigen, dass Jesus allwissend war, dann muss die Trinitätslehre in diesem Punkt inkorrekt sein, da in einem solchen Falle Jesus nicht in allen Punkten z.B. der 1. Person der trinitarischen Gottheit, Gott, dem Vater, gleich wäre.
Wir wollen uns zunächst mit Aussagen in den NT Berichten befassen, die uns über Jesu Wissen Auskunft geben. Aus verschiedenen Stellen geht hervor, dass Jesus in bestimmten Situationen über Wissen verfügte, das über jenes Wissen hinausging, das Menschen gewöhnlich haben können. Wir lesen davon, dass er z.B. bestimmte Fakten bzgl. einer Sachlage wusste, die er unmöglich auf normal menschlichem Wege erfahren haben konnte. Wie aber konnte er solche Dinge wissen? Sind solche Stellen eindeutig und zwingend Beweis dafür, dass Jesus Gott war?
Es ist klar, dass Jesus in manchen Situationen Erkenntnis hatte, die an sich nur Gott haben kann, da sie mittels der 5 Sinne in den Situationen nicht erlangt werden konnte. Solches ist aber nicht auf Jesus beschränkt, denn uns werden ganz ähnliche Situationen in der Bibel geschildert, in denen andere Propheten Gottes in bestimmten Situationen über derartiges Wissen verfügten. Ihnen waren bestimmte Tatsachen und Wahrheiten bzgl. der jeweiligen Situationen von Gott durch Offenbarung zuteil geworden. Sie erlangten Wissen, das sie ansonsten nicht hätten haben können, indem Gott ihnen die Information offenbarte, z.B. mittels einer Vision. Allerdings ist eines klar: Solche Erkenntnis zu haben, machte einen Propheten nicht zu Gott.
Genausowenig wie diese Propheten als Gott bezeichnet werden können, kann Jesus als Gott bezeichnet werden, weil er in bestimmten Situationen spezielle Offenbarung von Gott erhielt und solche dann verkündete und in den entsprechenden Situationen danach handelte.
Ein weiterer Punkt ist von Bedeutung: "Allwissenheit" ist noch etwas anderes, als Erkenntnis bzgl. einer bestimmten Situation durch Offenbarung von Gott zu erhalten. Laut gängiger Definition ist Allwissenheit eine umfassende Erkenntnis aus sich selbst heraus über alle Dinge, ohne dass jemand einem diese Erkenntnis oder Teile davon mitteilen würde Das ist der Grund dafür, dass dieser Begriff im buchstäblichen Sinne eigentlich nur bzgl. dem einen wahren Gott benutzt wird.
Wir wollen einige Schriftstellen genauer untersuchen, die uns Aufschluss darüber geben, ob Jesus tatsächlich allwissend war oder nicht.
Markus 13,32
Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel
nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.
Schon diese Feststellung allein ist äußerst aufschlussreich und entscheidend für unsere Studie. Jesus selbst gibt hier zu, dass er etwas nicht wusste, nämlich zu welcher Stunde und an welchem Tage der hier erwähnte Tag und die damit verbundenen Ereignisse eintreten würden. Jesus sagt auch, wer allein diese Information wusste, nämlich allein der Vater. Bereits dieser Vers für sich allein zeigt eindeutig an, dass Jesus nicht allwissend war!
Lukas 8,45:
Und Jesus fragte: Wer hat mich berührt?
Dieser Abschnitt handelt von einer Frau, die Heilung wollte und von hinten in der Menge an Jesus herantrat und in dem Gedränge sein Gewand berührte, weil sie glaubte, sie würde geheilt, wenn sie nur sein Gewand berühren könnte. Jesus fragte daraufhin: "Wer hat mich berührt?" Diese Aussage ist bemerkenswert in zweifacher Hinsicht: Einerseits wird deutlich, dass Jesus trotz des Gedränges bemerkt hatte und wusste, dass jemand den Saum seines Gewandes berührt hatte. Andererseits aber ist offensichtlich, dass er nicht wusste, wer ihn angerührt hatte. Die Aussage in diesem Vers zeigt eindeutig, dass Jesus nachfragte, weil er nicht wusste, wer ihn angerührt hatte. Ein anderer Grund für seine Frage ist einfach nicht ersichtlich. Auch diese Schriftstelle und das Beispiel zeigen an, dass Jesus nicht allwissend war.
Offenbarung 1,1
Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen
Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll; und er hat sie durch seinen Engel gesandt und seinem Knecht
Johannes kundgetan
In der Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bd. findet sich folgender Eintrag (teilweise zitiert) für den Begriff "Offenbarung":
Offenbarung, allg. Erkenntnis, Erleuchtung; in der Religionswissenschaft als
Mitteilung, Verkündigung Bez. für die auf Gott zurückgeführte
Enthüllung einer religiösen Wirklichkeit, die für den Menschen von existentieller Bedeutung ist und
meist als in ihrer Wahrheit und Autorität das menschl. Vernunftwissen übersteigend angesehen wird.
Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 16, S.107
"Offenbarung" bezeichnet gemeinhin in biblischen Zusammenhängen "Erkenntnis, die dem Menschen von Gott mitgeteilt [offenbart] wird"; es ist Erkenntnis bzw. Wissen, welches ansonsten dem Menschen über die ihm verfügbaren Mittel (Einsatz seiner fünf Sinne und Vernunft) nicht zugänglich wäre.
Das Buch der Offenbarung vermittelt uns Offenbarung bzgl. Jesus Christus, die ihm [Jesus] Gott gegeben hat! Gott gab Jesus diese Erkenntnis in dieser Offenbarung, um dadurch seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen sollte. Jesus erhielt also eine Kommunikation, eine Mitteilung bzw. Enthüllung bestimmter Wahrheiten von Gott. Gott verfügte über Wissen, welches Jesus zunächst nicht bekannt war. Auch hier wird wiederum deutlich, dass Jesus nicht allwissend war.
Johannes 12,49
Denn ich habe nicht aus mir selbst geredet, sondern der Vater,
der mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben, was ich tun und reden soll.
Diese Stelle berichtet uns, dass der Vater, Gott, seinem Sohn Jesus gebot, was er tun und reden sollte. Warum sollte Jesus solche Unterweisung benötigen, falls er doch schon - wie die Trinitätslehre verkündet - alles weiß? Außerdem heißt es gar, dass Jesus von Gott ein Gebot gegeben wurde, was zusätzlich anzeigt, dass Jesus nicht mit Gott auf gleicher Ebene steht, sondern ihm untergeordnet ist.
Lukas 2,52
Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den
Menschen.
Jesus nahm zu an Weisheit! Er lernte und wuchs in seiner Erkenntnis, auch in seiner Erkenntnis Gottes. Wäre er allwissend, so könnte er nicht an Weisheit zunehmen.
Matthäus 4,1
Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er
von dem Teufel versucht würde.
Warum sollte Jesus vom Geist geführt werden müssen, obwohl er doch angeblich mit dem Heiligen Geist auf gleicher Stufe steht? Wäre er allwissend, würde er ja auch wissen, was der Geist weiß und bedürfte keiner solchen Führung oder Anleitung. Auch hier ist offensichtlich, dass Jesus nicht allwissend war.
Matthäus 26,39
Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und
sprach: Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will,
sondern wie du willst!
Jesus wusste aus der Schrift, dass sein Sühnetod am Kreuz bevorstand. Aber offenbar wusste Jesus nicht, was eventuell in dieser Situation noch innerhalb von Gottes Willen möglich war, weshalb er sich im Gebet an Gott wandte. Seine Bitte drückt aus, dass er nicht alles wusste, denn er wusste nicht, ob es möglich war, dass dieser Kelch an ihm vorübergehen konnte und dennoch Gottes Wille auf eine andere Art und Weise erfüllt werden konnte.
Zudem erkennt man aus dieser Schriftstelle auch noch, dass Jesus selbst von zwei unabhängigen Willen spricht seinem eigenen Willen, und dem Willen seines Vaters.
Allein aus den wenigen hier angeführten Schriftstellen wird deutlich, dass die Bibel nicht davon ausgeht, dass Jesus in gleicher Weise wie Gott allwissend war. Jesus wusste viele Dinge, die anderen verborgen blieben, weil Gott ihm Erkenntnis und Einsicht durch Offenbarung gewährte. Aber es gab auch Dinge, die er nicht wusste. Daher war Jesus eindeutig nicht allwissend.
Jesus ist nicht allwissend, er wusste nicht alles. Somit ist er auch nicht Gott gleich. Jesus ist
nicht Gott, sondern der von Gott verheißene und gesandte Messias, der Gesalbte, der Christus. Der Messias sollte
nie Gott oder Gott gleich sein, es war verheißen, dass er ein Mensch sein würde, von Gott mit heiligem
Geist gesalbt (vgl. Jesaja 61,1-2Jes 61,1-2
1 Der Geist Gottes des HERRN ist auf mir, weil der HERR mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, daß sie frei und ledig sein sollen;2 zu verkündigen ein gnädiges Jahr des HERRN und einen Tag der Vergeltung unsres Gottes, zu trösten alle Trauernden,; Lukas 4,18ffLk 4,18
»Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, daß sie frei sein sollen, und den Blinden, daß sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen,, Apostelgeschichte 10,38Apg 10,38
wie Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit heiligem Geist und Kraft; der ist umhergezogen und hat Gutes getan und alle gesund gemacht, die in der Gewalt des Teufels waren, denn Gott war mit ihm.).