Vertreter der Trinitätslehre bemühen des öfteren auch den Bericht in 1Mo 18-19, um damit zu beweisen, dass Jesus bereits zu Zeiten des Alten Testaments - hier speziell zur Zeit Abrahams - gelebt und als Gott bzw. Gottessohn in das Leben von Menschen auf Erden eingegriffen habe. Eine genauere Betrachtung des Textes und der in diesen Kapiteln gemachten Aussagen zeigt schnell auf, dass es sich bei solcher Lehre nicht um das handelt, was der biblische Text aussagt sondern um eigentlich weit hergeholte Interpretationen und Behauptungen, die in den Text hinein interpretiert werden.

Wir wollen zunächst die oft genutzten Aussagen anschauen und sorgfältig darauf achten, was in den Stellen steht und dem Leser mitgeteilt wird.

1Mo 18,1-3
1 Und der HERR erschien ihm im Hain Mamre, während er an der Tür seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war.
2 Und als er seine Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Und als er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seines Zeltes und neigte sich zur Erde
3 und sprach: Herr, hab ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so geh nicht an deinem Knecht vorüber.

Vers 1 ist wie eine Art Überschrift und Zusammenfassung aus Sicht des Autoren des Textes für das, was nun in den nächsten Textabschnitten dann im einzelnen geschildert wird. Der Abschnitt berichtet über eine Erscheinung YHWHs (Erscheinung des HERRN), die Abraham im Hain Mamre zur heißesten Mittagszeit zuteil wurde, als Abraham am Eingang seines Zeltes ausruhte. Wie sich diese Erscheinung YHWHs abspielte und was sich im einzelnen dabei zutrug, wird danach dann geschildert.

Erstes Detail ist der Hinweis auf die heißeste Tageszeit, da normalerweise niemand zu der Zeit in der prallen Sonne unterwegs war. Es war also schon außergewöhnlich, dass da plötzlich jemand in Abrahams Blickfeld in einiger Entfernung auftauchte. Als nächstes wird uns geschildert, was Abraham unternimmt. Der Anblick der drei Reisenden veranlasste Abraham, sich sofort aufzumachen und zu ihnen hin zu eilen, um sie zu einer schattigen Rast zu sich einzuladen. Wir erkennen Abrahams Gastfreundschaft in seinem Denken und Handeln.

Der Bericht in 1Mo 18 bezeichnet diese Personen als "drei Männer". Für Abraham waren es also zunächst einmal Männer, die hier unterwegs waren und die er angesichts der Tageshitze nicht einfach so bei sich vorbei ziehen lassen wollte, sondern dem Gebot der Gastfreundschaft auch Fremden gegenüber folgend, lud er sie ein zu verweilen und dann später bei angenehmeren Temperaturen weiter zu reisen. Abraham als Gastgeber betrachtete sich als Diener seiner Gäste, und redete so den vermutlichen Anführer der kleinen Gruppe als "Herr" an und sprach von sich selbst als "Knecht".
Dann wird im Bericht weiter geschildert, was Abraham alles unternimmt, um seine Gäste fürstlich zu verköstigen, wobei es noch immer keinerlei Hinweis im Text gibt, dass Abraham die drei Männer in irgendeiner Form mit YHWH in Verbindung bringt und erkannt hätte, dass es sich bei ihnen um von YHWH gesandte Boten handelt.

Erst als die Männer auf Sara zu sprechen kommen und was und wie der Anführer der drei Männer Dinge bzgl. Sara ausspricht, wird wohl Abraham klar, dass diese Männer keine gewöhnlichen Reisenden sind, die scheinbar ein wenig unerfahren um die heißeste Tageszeit und dazu noch offenbar ohne weitere andere Vorkehrungen unterwegs waren.

Ab 1Mo 18,16 wird dann berichtet, was sich weiter nach dem Besuch bei Abraham im Zusammenhang mit den drei Männern zutrug.

1Mo 18,16-19
16 Da brachen die Männer auf und wandten sich nach Sodom, und Abraham ging mit ihnen, um sie zu geleiten.
17 Da sprach der HERR: Wie könnte ich Abraham verbergen, was ich tun will,
18 da er doch ein großes und mächtiges Volk werden soll und alle Völker auf Erden in ihm gesegnet werden sollen?
19 Denn dazu habe ich ihn auserkoren, daß er seinen Kindern befehle und seinem Hause nach ihm, daß sie des HERRN Wege halten und tun, was recht und gut ist, auf daß der HERR auf Abraham kommen lasse, was er ihm verheißen hat.

Hier fährt der Bericht fort, aus Sicht des Autors zu schildern, was sich weiter zutrug. Die drei Männer waren auf dem Weg nach Sodom, und Abraham verabschiedete sie, indem er sie entsprechend damaliger Gepflogenheiten ein Stück des Weges geleitete.

Die Vers 17-19 nun tun uns Gedanken YHWHs kund, und zwar in Form einer Art Selbstgespräch, in dem uns die Gedanken und Pläne YHWHs (des HERRN) mitgeteilt werden. Diese Worte sind Gottes Gedanken in Bezug auf Abraham, es sind aber nicht Worte einer direkten Rede, die YHWH zu Abraham spricht. Was der HERR dann Abraham mitteilt, folgt in den anschließenden Versen.

1Mo 18,20-23
20 Und der HERR sprach: Es ist ein großes Geschrei über Sodom und Gomorra, daß ihre Sünden sehr schwer sind.
21 Darum will ich hinabfahren und sehen, ob sie alles getan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder ob's nicht so sei, damit ich's wisse.
22 Und die Männer wandten ihr Angesicht und gingen nach Sodom. Aber Abraham blieb stehen vor dem HERRN
23 und trat zu ihm und sprach: Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen?

Hier nun lernen wir, dass diese Männer im Auftrag YHWHs unterwegs waren nach Sodom, um ein Strafgericht an den Bewohnern von Sodom an der Stadt zu vollziehen, welches diese durch ihre Sündhaftigkeit über sich selbst herauf beschworen hatten. Wie dann später, in 1Mo 19,1, erwähnt wird, gingen zwei der Männer direkt weiter nach Sodom, der Anführer der drei blieb zunächst zurück und mit ihm unterhielt sich Abraham auch noch in einem interessanten "Handel", der anzeigt, dass Abraham nun verstanden hatte, mit wem er es hier zu tun hatte.

Wichtig ist, dass man beachtet, dass hier der Text so formuliert ist, als wäre YHWH, Gott, persönlich anwesend, was aber unmöglich ist angesichts der doch zahlreichen Aussagen, dass YWHW selbst unsichtbar ist und noch kein Mensch Ihn je mit eigenen Augen gesehen hat. Wir haben hier eine typische Redewendung, mittels der ein Bote, der im Namen eines Auftraggebers spricht, so benannt wird, als sei er selbst der Auftraggeber. Ein Diener, der im Namen seines Herrn sprach und handelte, wird sprachlich gleich gesetzt mit seinem Herrn, obwohl er selbstverständlich nicht selbst der Herr sondern dessen Diener ist. Recht oft sehen wir das in biblischen Berichten, wo Propheten im Auftrag YHWHs reden. Sie sagen völlig zurecht: "der HERR (YHWH) spricht ....", obwohl nicht YHWH spricht sondern der Prophet. Dies macht aber natürlich nicht den Sprecher zu YHWH, sondern betont, dass die Botschaft nicht ihren Ursprung beim Propheten sondern bei YHWH hat.

In 1Mo 19,1 werden die Männer aus 1Mo 18 dann als "Engel" bezeichnet. Hier sollte man beachten, dass das Wort "Engel" zunächst nur "Bote" bedeutet, und aus dem Kontext eventuell hervorgeht, ob es sich bei den erwähnten "Engeln / Boten" um Menschen handelt oder um himmlische Wesen, die in menschlicher Gestalt bei dem jeweiligen Anlass erscheinen. Man sollte sich hier nicht durch die Übersetzung "Engel" täuschen lassen, nur weil im heutigen Sprachgebrauch dieses Wort als eine Bezeichnung für normalerweise unsichtbare Geistwesen verstanden wird, wobei auch noch von "guten" und "bösen" Engeln geredet wird.

Worum es sich bei diesen drei Männern nun handelte, scheint im Kontext nicht weiter ausgeführt zu werden. Offensichtlich wird allerdings, dass diese Boten im Auftrag Gottes handelten und über gewaltige und über normal menschliche Macht hinausgehende Macht verfügten. Das allein aber macht sie nicht zu himmlischen Geistern, denn Mose war ja wohl ein Mensch, ein Mann, und er verfügte als Bote / Diener YHWHs in YHWHs Auftrag ebenfalls über solche ihm von Gott gegebene Macht, z.B. um Plagen über Ägypten zu bringen und gar die Wasser zu teilen, als Israel aus Ägypten auszog.

Beim Lesen des Berichts in 1Mo 18 - 19 fällt im Hinblick auf die in der Überschrift gestellte Frage eines auf: Nirgends in dem gesamten Bericht wird etwas erwähnt, was darauf schließen ließe, dass Jesus in irgendeiner präexistenten Form damals am Leben und hier bei Abraham zu Besuch war und sich mit Abraham unterhalten hätte!

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