von
Wolfgang Schneider
Im Hinblick auf den Bericht in 1 Korinther 12 über die „Gaben des Geistes“ gibt es in christlichen Kreisen teilweise sehr unterschiedliche Lehren. Das Spektrum reicht von „gibt es seit dem 1. Jhdt n.Chr. und heute nicht mehr“ zu „absolut notwendige Zeichen für wahrhaftige Christen“. In dieser Studie soll möglichst direkt vom biblischen Text her erörtert werden, worum es in dem entsprechenden Abschnitt jeweils geht bzw. was von Paulus in diesem Abschnitt des Briefs an die Gemeinde der Christen in Korinth dargelegt wird.
1 Kor 12,1
Über die Gaben des Geistes aber will ich euch, Brüder und Schwestern, nicht in Unwissenheit lassen.
Diese einleitende Anmerkung des Paulus ist in mehrfacher Hinsicht wichtig und für ein rechtes Verständnis aufschlussreich. Leider vermittelt hier diese Übersetzung mit dem Begriff „Gaben des Geistes“ einen theologisch weit verbreiteten Eindruck, dass es nämlich in der Folge hier um unterschiedliche besondere „Gaben“ von Gott geht, über die nun weitere Erkenntnis folgt. Das der Übersetzung zugrundeliegende griechische Wort ist πνευματικός (pneumatikos), das allgemein einfach „geistliches“ bedeutet und in Bezug auf verschiedenste „geistliche Dinge“ gebraucht werden kann. Der jeweilige Kontext bestimmt jeweils, worum es genau geht.
Ein wichtiges Wort in diesem den Abschnitt einleitenden Satz ist „aber“, womit Paulus die Verbindung zu vorhergehenden Themen herstellt, indem er deutlich macht, dass nun ein Wechsel im Inhalt seiner Ausführungen erfolgt. In den Kapiteln zuvor ging es um verschiedene Aspekte des Verhaltens in äußerlichen Dingen, zu denen Paulus Erkenntnis und Instruktionen gab. Nun wechselt in dem Brief das Augenmerk von äußerlichen Dingen zu „geistlichen“, mithin innerlichen, Vorgängen und Aspekten im Verhalten der Gläubigen in der Gemeinde.
1 Kor 12,2–3
Ihr wisst: Als ihr Heiden wart, zog es euch mit Macht zu den stummen Götzen.
Darum tue ich euch kund, dass niemand, der durch den Geist Gottes redet, sagt: Verflucht sei Jesus. Und niemand kann sagen: Jesus ist der Herr, außer durch den Heiligen Geist.
Zunächst etabliert Paulus einen wichtigen Unterschied zwischen dem früheren „Gottesdienst“ der Korinther und dem, was nun in der Gemeinde Gottes geschah. Zuvor waren sie zu stummen Götzen hingezogen, es gab dabei nichts, keine Äußerung, die in irgendeiner Form mit Leben erfüllt gewesen wäre.
Nun verhielt es sich anders, denn die Gläubigen redeten und handelten nun entsprechend der ihnen innewohnenden Gesinnung und verkündeten den Messias Jesus als ihren Herrn. Um deutlich zu machen, dass die anscheinend vorhandenen Befürchtungen einiger Gläubigen in Korinth, man könne womöglich bei solchem Reden gemäß der Inspiration durch Gottes Geist vielleicht Jesus verfluchen, unbegründet waren, nutzt Paulus zur Betonung eine doppelte Argumentation: Er betont zunächst, dass niemand Jesus verflucht, der tatsächlich von Gottes Geist inspiriert redet, und fährt dann noch betonter fort, dass gerade quasi das Gegenteil der Fall ist: Niemand kann tatsächlich sagen, Jesus sei Herr, außer mittels Inspiration heiligen Geistes.
Nachdem dieser Aspekt geklärt ist, greift Paulus auch bzgl. geistlicher Angelegenheiten erneut die Wahrheit auf, dass Verschiedenheiten nicht Spaltung sind oder anzeigen.
1 Kor 12,4–6
Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist.
Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr.
Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.
Ja, verschiedenen Gläubigen sind verschiedene geistliche Fähigkeiten gegeben, sie haben sozusagen verschiedene „Charismen“ / Begabungen. ABER es sind keine unterschiedlichen Geister am Werk, sondern es ist in jedem von ihnen der gleiche heilige Geist, die gleiche geistliche Gesinnung, der gleiche geistlich heilig ausgerichtete Charakter.
Ja, in der Gemeinde verrichten verschiedene Gläubige verschiedene Dienste, erfüllen verschiedene Ämter. ABER dienen sie deswegen verschiedenen Herren? Nein, vielmehr geschehen diese Ämter alle im Dienst für nur einen Herrn.
Ja, in dem Wandel der unterschiedlichen Gläubigen sind verschiedene Kräfte in ihnen am Wirken, je nach Handlung und Tat agieren Gläubige mit verschiedenen Energieleistungen. ABER es stehen hinter diesen verschiedenen Kraftwirkungen nicht verschiedene Götter, sondern all dies in allen Gläubigen wird bewirkt, mit Energie gespeist, durch einen Gott.
Nun kommt Paulus darauf zu sprechen, wie solcher Wandel gemäß heiligem Geist im Leben in der Gemeinde zu Tage tritt und offenbar wird.
1 Kor 12,7–11
Durch einen jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller.
Dem einen wird durch den Geist ein Wort der Weisheit gegeben; dem andern ein Wort der Erkenntnis durch denselben Geist;
einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist;
einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen.
Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist, der einem jeden das Seine zuteilt, wie er will.
In diesem Abschnitt gilt es, einen Einschub zu beachten. Die Verse 8-10 sind als Parenthese eingeschoben und enthalten erläuternde Einzelheiten zu dem in Vers 7 erwähnten Nutzen. Der Hauptgedanke aus Vers 7 wird in Vers 11 weitergeführt.
Zunächst folgen noch einige Details zu Vers 7 anhand anderer Übersetzungen, die doch genauer am griechischen Text bleiben.
1 Kor 12,7 (Schlachter 2000)
Jedem aber wird das offenbare Wirken des Geistes zum allgemeinen Nutzen gegeben.
1 Kor 12,7 (Menge)
Jedem wird aber die Offenbarung des Geistes zum allgemeinen Besten verliehen.
1 Kor 12,7 (Zürcher 2007)
Jedem wird die Offenbarung des Geistes so zuteil, dass es allen zugute kommt.
Die „Offenbarung“ bzw. das offenbare sicht- bzw. wahrnehmbare Wirken der Kraft heiligen Geistes wird jedem gegeben. Der Gläubige handelt entsprechend seiner Eingebung, gemäß dem, wie es ihm gegeben ist. Es ist nicht so, dass der Geist quasi von dem Gläubigen „Besitz ergreift“ und der Geist dann „durch den Gläubigen als quasi Werkzeug des Geistes“ die erwähnten geistlichen Wirkungen und Dienste vollbringt.
Wie in den Versen zuvor gerade dargelegt wurde, ermöglicht die gleiche Kraft heiligen Geistes Verschiedenheiten von Begabungen, Diensten und Wirkungen, die alle in jedem Gläubigen dann verschieden zu einem jeweiligen Nutzen zur Geltung kommen. Was mittels heiligen Geistes bewirkt wird und geschieht wird immer einen allgemeinen, einen umfassenden Nutzen haben und anderen zugutekommen.
In dem Einschub gibt Paulus nun einige Beispiele von mittels heiligem Geist bewirkten Nutzen für die Gemeinde und Gläubige in der Gemeinde, die zustande kommen, wenn Gläubige das wollen und gemäß dem handeln, was ihnen gegeben ist und was Gott in ihnen mittels seines heiligen Geistes wirkt.
1 Kor 12,8–10
Dem einen wird durch den Geist ein Wort der Weisheit gegeben; dem andern ein Wort der Erkenntnis durch denselben Geist;
einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist;
einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen.
Erneut wird betont, dass diese verschiedenen nach außen wahrnehmbare Wirkungen in der gleichen einen Gabe heiliger Geist, Kraft aus der Höhe, ihren Ursprung haben. Je nach Situation und vorliegendem Bedürfnis und erwünschtem Nutzen, mag einer der Gläubigen mittels der ihm gegebenen geistlichen Fähigkeit zum Nutzen aller wirken.
Einem ist gegeben, mit Weisheit und weisem Rat nützlich zu sein; jemand anders vermag in besonderer Weise anderen Erkenntnis zu vermitteln. Erfüllt mit heiligem Geist ist einem gegeben, Treue („Glaube“) zum Nutzen zu zeigen; jemand anders kann im heiligen Geist handelnd in besonderer Weise anderen helfen, Heilung zu erlangen und zu genesen. Jemand anders vermag mittels heiligen Geistes in besonderer Weise Kräfte frei zu setzen und ein Wunder zu bewirken; einem anderen ist die Fähigkeit gegeben, Gesinnungen und Motivationen von Personen („Geister“) zu unterscheiden und zum Nutzen aller zu beurteilen. Einem anderen ist gegeben, mit großem Nutzen für Gott zu reden („prophetisch reden / weissagen“). Einem anderen – aufgrund seiner Kenntnis einer Fremdsprache – ist gegeben in dieser Sprache zu reden und zu predigen; einem anderen ist gegeben, eine Botschaft in einer anderen Sprache zum Nutzen aller in die Sprache anderer Anwesenden auszulegen bzw. zu übersetzen.
1 Kor 12,11
Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist, der einem jeden das Seine zuteilt, wie er will.
In Vers 11 wird wieder aufgegriffen und betont: „Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist, der einem jeden das Seine zuteilt, wie er will.“ Alle diese erwähnten wahrnehmbaren Wirkungen erhalten ihre Energie, beruhen auf der Kraftwirkung der gleichen einen Gabe heiliger Geist. Gläubige vermögen solchen Nutzen in der Gemeinde beizutragen, weil sie im Glauben an den Messias und Herrn Jesus heiligen Geist als Gabe erhielten und nunmehr, erfüllt mit heiligem Geist, nach dem Geist wandelnd solches bewirken können, wenn sie es möchten.
Der Hauptgedanke des Zusammenwirkens verschiedener Teile zu einem Ganzen wird von Paulus in den folgenden Versen fortgeführt.
1 Kor 12,12–13
Denn wie der Leib einer ist und hat doch viele Glieder, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.
Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt.
Alle Gläubige in der Gemeinde zusammen bilden einen Leib, wie die Metapher eines Leibes mit vielen Gliedern verdeutlicht. Was alle Glieder verbindet, ist die gleiche innere Gesinnung, der gleiche heilige Geist, mit welchem alle Glieder zu einem Leib getauft wurden bzw. werden. Die Verheißung des Empfangens heiligen Geistes wird hier gleichgesetzt mit der Taufe in einen Leib, was geschieht, wenn man Buße tut (vgl. auch Apg 2,38). Dabei macht es keinen Unterschied, was jemand ist (vgl. „Jude oder Grieche“) oder welchen Status man in der Gesellschaft hat (vgl. „Sklaven oder Freie“).
Am Ende des folgenden Abschnitts mit weiteren Punkten zum Zusammenwirken der einzelnen Glieder in der Gemeinde, kommt Paulus wieder auf die zuvor erörterten geistlichen Angelegenheiten und das, was Gläubigen gegeben ist, zu sprechen.
1 Kor 12,27–30
Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ein Glied.
Und Gott hat in der Gemeinde eingesetzt erstens Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer, dann gab er die Kraft, Wunder zu tun, dann Gaben, gesund zu machen, zu helfen, zu leiten und mancherlei Zungenrede.
Sind sie denn alle Apostel? Sind sie alle Propheten? Sind sie alle Lehrer? Haben sie alle die Kraft, Wunder zu tun,
haben sie alle Gaben, gesund zu machen? Reden sie alle in Zungen? Können sie alle auslegen?
Auch wenn alle Glieder der Gemeinde heiligen Geist empfangen haben (vgl. „durch einen Geist alle zu einem Leib getauft … alle mit einem Geist getränkt“), so sind doch nicht alle wahrnehmbaren Wirkungen allen in gleichem Maße gegeben. Gott will, dass diese in der Gemeinde genutzt werden und hat daher diese Dienste und Wirkungen eingesetzt. Aber nicht allen Gliedern ist alles gegeben, einigen ist eine Wirkung gegeben, anderen eine andere. Durch die Art der rhetorischen Fragestellung mittels Redefigur Erotesis wird die „Nein!“ Antwort impliziert und besonders betont. Nicht alle lehren, predigen, wirken heilend, reden eine Fremdsprache, können Nutzen bringend mit übersetzen dienen.
1 Kor 12,31
Strebt aber nach den größeren Gaben! Und ich will euch einen noch besseren Weg zeigen.
1 Kor 13,1-2
Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.
Offensichtlich waren Gläubige in der Gemeinde überaus eifrig in ihrem Streben nach „besten Gaben“, leider wohl ein wenig aus falscher Motivation heraus. Paulus greift nun diesen Punkt auf, indem er sie auf einen „besseren Weg“ als solche Streberei aufmerksam macht, nämlich weg von egoistisch orientiertem Streben nach Gaben hin zum Weg der Liebe, um so die Gemeinde zu erbauen und zu fördern. Auch die scheinbar „besten Charismen“ bringen demjenigen, der über sie verfügt, nichts, wenn sie nicht aus Liebe zu Gott und den Nächsten genutzt werden.