von
Wolfgang Schneider
Nachdem in der Vision der Situation im Himmel zunächst auf eindrucksvolle und mit Sprachbildern und Symbolen versehene Weise offenbart wurde, was sich vor Gottes Thron abspielte, wendet sich nun die Aufmerksamkeit weiteren Einzelheiten zu von dem, was in Kürze geschehen musste. Im Mittelpunkt des folgenden Teils der Vision steht eine Schriftrolle und das, was in ihr geschrieben steht.
Offenbarung 5,1-4
1 Und ich sah in der rechten Hand [wörtl. zur Rechten] dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben innen und außen, versiegelt mit sieben Siegeln.
2 Und ich sah einen starken Engel, der rief mit großer Stimme: Wer ist würdig, das Buch aufzutun und seine Siegel zu brechen?
3 Und niemand, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, konnte das Buch auftun noch es sehen.
4 Und ich weinte sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch aufzutun und hineinzusehen.
Johannes Blick wird auf eine Schriftrolle ("ein Buch") gelenkt, die möglicherweise auf einem Ständer rechts neben Gottes Thron liegt. Die Rolle ist innen und außen beschrieben, vielleicht ein Hinweis auf ausführliche Inhalte, und sie ist versiegelt mit sieben Siegeln die so angebracht sind, dass beim Aufrollen der Rolle und Öffnen nach und nach mehr vom Inhalt zugänglich wird.
Was aber steht in dieser Schriftrolle? Die Spannung beim Leser, wie auch bei Johannes und den Beteiligten in der Vision ist groß, und sie kommt in der Frage des starken, mächtigen Boten ("Engel") zum Ausdruck: Wer vermag die Siegel zu brechen? Wer ist dessen würdig? Einen Moment lang scheint es, als sei niemand nirgendwo dazu geeignet, den Inhalt der Schriftrolle zu sehen und kundzutun. Johannes vergoss viele Tränen ob dieses Dilemmas.
Offenbarung 5,5-10
5 Und einer von den Ältesten spricht zu mir: Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, aufzutun das Buch und seine sieben Siegel.
6 Und ich sah mitten zwischen dem Thron und den vier Wesen und mitten unter den Ältesten ein Lamm stehen, wie geschlachtet; es hatte sieben Hörner und sieben Augen, das sind die sieben Geister Gottes, gesandt in alle Lande.
7 Und es kam und nahm das Buch aus der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß.
8 Und als es das Buch nahm, da fielen die vier Wesen und die vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem Lamm, und ein jeder hatte eine Harfe und goldene Schalen voll Räucherwerk, das sind die Gebete der Heiligen,
9 und sie sangen ein neues Lied: Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel; denn du bist geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erkauft aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Nationen
10 und hast sie unserm Gott zu einem Königreich und zu Priestern gemacht, und sie werden herrschen auf Erden.
Als Johannes noch weint tröstet ihn einer der 24 Ältesten, die als Priester vor Gott dienen, und er verkündet, dass der Messias überwunden hat und die Schriftrolle öffnen wird. Er bezeichnet den Messias als den Löwen aus dem Stamm Juda, und die Wurzel (Spross) Davids, beides Symbole aus AT Schriften, die in Verbindung stehen zu Macht und königlicher Regentschaft (vgl. 1Mo 49,9; Jes 11,1; Röm 15,12). Der Löwe hat überwunden!
Der Löwe hat als das geopferte Lamm überwunden ... Löwe und Lamm sind die gleiche Person. Jesus ist dieses Lamm, hier weiter beschrieben mit sieben Hörnern und sieben Augen, die wohl seine universale Kraft und universale Erkenntnis symbolisieren.
Als nun Jesus die Schriftrolle aufnimmt, werfen sich alle anbetend nieder, und die Priester bringen die Gebete der Heiligen vor Gott ("Räucherwerk"). Teil ihres Lobgesangs gilt dem Lamm, dem Messias Jesus, der durch seinen Opfertod in Erfüllung von Gottes Willen die von Gott geplante Erlösung vollendete. Durch dieses Opfer hat er den Tod überwunden, hat er den an ihn Glaubenden aus allen Stämmen Israels und anderen aus vielen Völkern Erlösung gebracht. So ist er nun würdig, die Schriftrolle und die Siegel zu öffnen.
Offenbarung 5,11-14
11 Und ich sah, und ich hörte eine Stimme vieler Engel um den Thron und um die Wesen und um die Ältesten her, und ihre Zahl war zehntausendmal zehntausend und vieltausendmal tausend;
12 die sprachen mit großer Stimme: Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.
13 Und jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!
14 Und die vier Wesen sprachen: Amen! Und die Ältesten fielen nieder und beteten an.
Jesus hat diese seine Gemeinde gegründet und erlöst, und diese ist repräsentiert durch die große und eigentlich nicht zählbare Zahl ("zehntausendmal zehntausend und vieltausendmal tausend") derer, die hier einstimmen in Lob und Preis.
Wichtig ist hier auch, auf das geistliche Wesen von Jesu Herrschaft zu achten. Jesus hat die aus den Juden ("Stämmen") erlöst und die Herrschaft ("Königreich") wiederhergestellt - jedoch nicht in der irdischen Art, wie viele Israeliten es damals erwarteten. Er bereitete den Weg zu Gott und machte Gottes Kinder zu königlichen Priestern, wie Gott es eigentlich für Israel von Anfang geplant hatte. Die Herrschaft ist nicht eine irdische Herrschaft über ein irdisches Reich und Stück Land, sondern sie ist geistlicher Natur, "nicht von dieser Welt". Jesus hat Sünde und Tod und das Grab überwunden, und Christen sind Überwinder in diesen Dingen. Tod und Grab haben keine Macht mehr über Jesu Jünger.
Jesus erhält nun hier von allen Lob und Preis, der ihm gebührt. Alle beten Gott ("der auf dem Thron sitzt") an, und weiterhin loben und preisen sie das Lamm und erweisen ihm ebenfalls Ehre.
Offenbarung 6,1-8
1 Und ich sah, dass das Lamm das erste der sieben Siegel auftat, und ich hörte eines der vier Wesen sagen wie mit einer Donnerstimme: Komm!
2 Und ich sah, und siehe, ein weißes Pferd. Und der darauf saß, hatte einen Bogen, und ihm wurde eine Krone gegeben, und er zog aus sieghaft und um zu siegen.
3 Und als es das zweite Siegel auftat, hörte ich das zweite Wesen sagen: Komm!
4 Und es kam heraus ein zweites Pferd, das war feuerrot. Und dem, der darauf saß, wurde Macht gegeben, den Frieden von der Erde zu nehmen, dass sie sich untereinander umbrächten, und ihm wurde ein großes Schwert gegeben.
5 Und als es das dritte Siegel auftat, hörte ich das dritte Wesen sagen: Komm! Und ich sah, und siehe, ein schwarzes Pferd. Und der darauf saß, hatte eine Waage in seiner Hand.
6 Und ich hörte etwas wie eine Stimme mitten unter den vier Wesen sagen: Ein Maß Weizen für einen Silbergroschen und drei Maß Gerste für einen Silbergroschen; aber dem Öl und Wein tu keinen Schaden!
7 Und als es das vierte Siegel auftat, hörte ich die Stimme des vierten Wesens sagen: Komm!
8 Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war: der Tod, und die Hölle zog mit ihm einher. Und ihnen wurde Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, zu töten mit Schwert und Hunger und Tod und durch die wilden Tiere auf Erden.
In den Abschnitten der ersten vier Siegel entfaltet sich nun, was sehr bald geschehen musste, und die Zeichen stehen auf Krieg und katastrophalem Konflikt für das abtrünnige Israel.
Nach Öffnen des ersten Siegels erscheint ein Reiter mit Bogen auf einem weißen Pferd, der unaufhaltsam und siegreich loszog. Zu jener Zeit waren Reiterhorden der Parther auf weißen Pferden berüchtigt, dass sie mit ihren Fertigkeiten mit dem Bogen alle Feinde besiegten. Die Parther hatten sich zu Zeiten Neros mit den Römern verbündet, wie man Aussagen von Josephus entnehmen kann (vgl. Josephus Flavius, Jüdischer Krieg II:16:4).
Nach Öffnen des zweiten Siegels kommt ein zweites, diesmal feuerrotes Pferd ins Blickfeld. Der Reiter mit diesem Pferd symbolisiert Krieg ("wurde Macht gegeben, den Frieden von der Erde zu nehmen"). Das große Schwert weist zusätzlich darauf hin, dass viele Opfer des Krieges würden.
Der Öffnung des dritten Siegels folgt ein schwarzes Pferd, dessen Reiter eine Waage in Händen hält, und dazu verkündet eine Stimme, die beschrieb, wie eine Hungersnot wegen Getreidemangels eintreten würde. Genau diese Situation erwähnt auch Josephus, wenn er beschreibt, was sich während der Zeit des jüdischen Aufstands gegen Rom in Israel und im belagerten Jerusalem zutrug (vgl. Josephus Flavius, Jüdischer Krieg V:10:2).Schließlich kommt mit dem Öffnen des vierten Siegels ein fahles Pferd mit dem Tod (der Pest) ins Bild.
Die vier Plagen erinnern an und symbolisieren Plagen, die auch in der Vergangenheit schon den ungläubigen und untreuen Israeliten angedroht und über sie gekommen waren wegen ihres Unglaubens und Ungehorsams: wilde Tiere (hier die Parther), Krieg, Hungersnöte und die Pest (vgl. 3Mo 26,22-25).
Diese Dinge sind nicht alle in Einzelheiten buchstäblich eingetreten für die Leute im AT, so ist es auch in dieser Situation, wo wohl eher ein Gesamteindruck der kommenden Katastrophe vermittelt werden soll. Leute würden in dem Aufstand umkommen, dies würde sein wie eine von Gott geschickte Plage für die Juden, die Gottes Anweisungen ablehnten. In gewisser Weise bilden die Inhalte dieser vier Siegel eine Einheit, schildern nicht vier separate Dinge, sondern ein Ganzes.
Offenbarung 6,9-11
9 Und als es das fünfte Siegel auftat, sah ich unten am Altar die Seelen derer, die umgebracht worden waren um des Wortes Gottes und um ihres Zeugnisses willen.
10 Und sie schrien mit großer Stimme: Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest du nicht und rächst nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?
11 Und ihnen wurde gegeben einem jeden ein weißes Gewand, und ihnen wurde gesagt, dass sie ruhen müssten noch eine kleine Zeit, bis vollzählig dazukämen ihre Mitknechte und Brüder, die auch noch getötet werden sollten wie sie.
Nun sehen wir die vielen Unschuldigen, die während dem Vorgehen der Römer gegen den jüdischen Aufstand ihr Leben verloren. Sie werden hier dargestellt, wie sie laut bitten, dass Gott endlich aufhören solle zuzulassen, dass Unschuldige sterben. In der Vision wird ihnen versichert, dass in Kürze ("noch eine kleine Zeit") das Blutvergießen ein Ende haben würde. Bis dahin würden aber auch noch unschuldige Mitknechte (Christen) und Brüder (Juden) ihr Leben lassen.
Man muss beachten, dass dies hier Teil einer Vision ist. Was wir lesen bedeutet nicht, dass zu jenem Zeitpunkt bereits verstorbene Gläubige auferstanden und bei Gott lebendig waren, vielmehr weist das Geschehen darauf hin, dass in einer kurzen Zeit - nämlich am letzten Tage und mit der Auferstehung aller gläubigen Toten - dann allen ihre Treue mit ewigem Leben vergolten würde.
Offenbarung 6,12-17
12 Und ich sah: Als es das sechste Siegel auftat, da geschah ein großes Erdbeben, und die Sonne wurde schwarz wie ein härener Sack, und der ganze Mond wurde wie Blut,
13 und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde, wie ein Feigenbaum seine Feigen abwirft, wenn er von starkem Wind bewegt wird.
14 Und der Himmel wich wie eine Schriftrolle, die zusammengerollt wird, und alle Berge und Inseln wurden wegbewegt von ihren Orten.
15 Und die Könige auf Erden und die Großen und die Obersten und die Reichen und die Gewaltigen und alle Sklaven und alle Freien verbargen sich in den Klüften und Felsen der Berge
16 und sprachen zu den Bergen und Felsen: Fallt über uns und verbergt uns vor dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes!
17 Denn es ist gekommen der große Tag ihres Zorns und wer kann bestehen?
Die Erwähnung und Beschreibung natürlicher Katastrophen in prophetischen Schriften betont mittels apokalyptischer Sprachfiguren das machtvolle und unwiderstehliche Handeln Gottes. Oftmals geschieht es, wenn er seinem Zorn Ausdruck verleiht.
Hier werden die Juden wegen ihrer Ablehnung des von ihrem Gott gesandten Messias gerichtet. Das würde in Kürze offenbar werden, wenn Israel, der Tempel als Zentrum ihrer Religion und die Stadt Jerusalem dem Erdboden gleich gemacht würde. Diese Ereignisse hatte Jesus bereits vorausgesagt (vgl. Mt 24-25, Mk 13, Lk 21), und sogar Johannes der Täufer deutete das bereits zuvor an, als viele Pharisäer und Sadduzäer zu ihm kamen, um sich taufen zu lassen und er sie harsch zurückwies (vgl. Mt 3,7-12).
Die apokalyptische Sprache betont die immense Katastrophe, die Israel und das Land heimsuchen wird. Es sollte klar sein, dass es nicht um Dinge in buchstäblichem Sinne geht, sondern Redefiguren dem ganzen Szenario große Wucht und ein enormes Ausmaß verleihen. Die Sonne wird nicht buchstäblich schwarz, noch der Mond wie Blut, vielmehr wird es zu der Zeit so unvorstellbar schlimm, wie es unvorstellbar ist, dass Sonne und Mond sich so verändern. Sterne fallen nicht buchstäblich auf die Erde, hier wird ebenso die gewaltige Macht betont, die eine solche Katastrophe bewirkt.
Die Reaktion der Herrschenden im Lande ("Könige auf Erden") und aller anderen, ob einflussreich oder nicht, war der dramatische Versuch, sich letztlich zu verstecken, ohne von ihrer Sünde und ihrer Ablehnung des Messias und Gottes zu weichen (vgl. Hos 10, wo götzendienerische Israeliten eine ähnliche Sprache benutzten).
In den ersten 6 Siegeln bzw. in den damit versiegelten Abschnitten der vom Messias geöffneten Schriftrolle erkennt man, was Gott als Strafe für ihre Abtrünnigkeit und ihre Ablehnung des Messias angedroht und bemessen hat. Es sind zunächst Plagen, die es in der Geschichte Israels zuvor auch schon gegeben hatte. Dann kommen die unschuldigen Opfer jenes Geschehens und die ihnen verheißene Vergeltung in Kürze zur Sprache. Gott aber schüttet seinen Zorn weiter aus über die ungläubigen Juden.