Im Laufe meines Lebens als Christ, und besonders während der nun über 40 Jahre intensiven Lesens und intensiver Beschäftigung mit der Bibel, sowie auch manches Mal in den Jahren davor, habe ich mich immer wieder mit Fragen über das Sterben, und das, was dann danach kommt, beschäftigt. Als ich noch nicht Christ war, wie auch zu Zeiten da ich als an Jesus Christus Gläubiger die Bibel nicht sonderlich gut kannte, waren die Zeiten des Nachdenkens über dieses Thema außerordentlich deprimierend. Nachdem ich mich dann intensiver mit der Bibel beschäftigte und einige der grundlegenden Wahrheiten zu diesem Thema aus der Bibel erkannte, verlor dieses Thema seinen Schrecken und die depressive Wirkung. Was war die Ursache für einen derartigen Wechsel? Die Ursache war das Wissen um "eine lebendige Hoffnung", das Wissen um eine Hoffnung auf ewiges Leben mit Christus in Gottes Gegenwart.

Es dauerte nicht lange, bis ich dann feststellte, dass es in christlichen Kreisen eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Auslegungen und Ansichten darüber gibt, was die Bibel über die Situation der Toten allgemein und auch über die verstorbenen bzw. entschlafenen Christen berichtet. Fast jedes Werk zu diesem Thema legte eine etwas andere Sicht der Dinge dar, wobei jedoch bei mehreren Büchern ein gemeinsamer Trend vorhanden war, nämlich die Auffassung, dass die Toten (vornehmlich die verstorbenen Christen, aber manchmal auch alle Toten insgesamt) gar nicht unbedingt tot seien, sondern bereits seit dem Augenblick ihres Todes an einem anderen, höheren Ort und auch in einer anderen, höheren Form am Leben seien. Eine Menge verschiedener Argumente werden dazu vorgebracht, wobei auch einige Schriftverse als "Beweise" herhalten müssen. Problematisch daran ist jedoch, dass in fast allen Fällen die Vertreter solcher Lehren gleichzeitig propagieren, dass das Kommen des Herrn ein noch immer zukünftiges Ereignis sei, wodurch sich eindeutig ein Widerspruch ergibt, da die Bibel das Ereignis der Auferstehung der Toten aus dem Totenreich und ewiges Leben in der Gegenwart des Herrn mit dem Kommen des Herrn verbindet.

Neben dem Zitieren verschiedener Verse aus der Bibel spielen in einigen Werken beim Erarbeiten und Beurteilen dieses Themas Erfahrungsberichte von Menschen, die in irgendeiner Form tot (klinisch tot) waren und wiederbelebt wurden, manchmal eine große Rolle. In diesen Berichten wird zumeist geschildert, dass diese Personen ein unwahrscheinlich erfreuliches Erlebnis hatten, sich in vielfältiger Weise geborgen und wohl fühlten. Das Sterben und der Tod am Ende des irdischen Lebens wird geschildert als ein erfreuliches Erlebnis, und Sterben wird als ein notwendiger Schritt zum wesentlich besseren und vollkommenen Leben nach dem Tod angesehen, das auch sofort einsetzt. Was soll man von solchen Berichten halten?

Nun, die Berichte mögen durchaus mitteilen, was diese Menschen erlebt haben, als sie dem Tod nahe waren; aber wir müssen uns daran erinnern, dass sie aus biblischer Sicht nicht einmal unbedingt tot waren, sondern jeweils wieder relativ schnell in das jetzige Leben "zurückkehrten". Übrigens, man könnte auch berechtigterweise fragen, warum überhaupt versucht werden sollte, jemanden wieder zu beleben, wenn es doch "auf der anderen Seite" bereits so schön ist ...?

Solche relativ "angenehmen" Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Tod (genauer gesagt, "Beinahe-"Tod) werden manchmal auch direkt mit einer Stelle im Philipperbrief in Verbindung gebracht, wo berichtet wird, dass Paulus schrieb: "… und Sterben ist mein Gewinn."

Diese Aussage des Paulus wird dann so gedeutet, als habe Paulus ein Verlangen nach seinem Tod, seinem Sterben gehabt bzw. seinen Tod geradezu herbeigesehnt, weil im Sterben ja ein persönlicher "Gewinn" zu sehen ist. Durch den Tod erlangt man Anteil an einer viel höheren, besseren, glorreichen und über alle Maßen schönen Welt, und man lässt vor allem die beschwerlichen Dinge dieser Welt hinter sich! Nur – hat Paulus das mit seinen Worten gemeint? Redete Paulus davon, dass Sterben für einen jeden Menschen einen Gewinn darstellt, weil man durch das Sterben etwas Schönes und Nützliches erlangt? Sind diese Theorien, dass der Tod eine willkommene Sache ist, auf die wir uns freuen sollten und die uns einen Gewinn bringt, überhaupt mit der Lehre der Bibel zu diesem Thema vereinbar?

"Sterben ist ein Gewinn" – wirklich?

Ich möchte in dieser Studie ein paar wichtige Argumente im Hinblick auf diese Worte des Paulus, dass Sterben ein Gewinn sei, erörtern und anhand des biblischen Zusammenhangs beleuchten, um so den wahren Sachverhalt darzulegen. Zuerst sollten wir uns den Vers in Philipper 1 genau anschauen, wo die Worte des Paulus bzgl. des "Sterben" und "Gewinn" aufgezeichnet wurden.

Philipper 1,21
Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.

Bei genauem Lesen dieser Aussage sollte sofort auffallen, dass Paulus nicht allgemein vom Leben und vom Sterben und auch nicht allgemein von "Sterben ist Gewinn" spricht. Seine Worte beziehen sich ganz betont nur auf ihn selbst: Paulus schreibt: "Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn." So lautet die Übersetzung in der hier zitierten Lutherbibel 1984. Es heißt: "... mein) Gewinn". Wie nun ist das zu verstehen? In welcher Hinsicht war dies "mein Gewinn" ein Gewinn für Paulus? Hatte er von seinem Sterben einen persönlichen Gewinn? Falls ja, worin bestand dieser Gewinn?

Wie sehr Paulus nur von sich und seiner Situation redete, wird noch deutlicher, wenn wir diesen Vers vom griechischen Text her betrachten. Ein Blick in Das Neue Testament, Interlinearübersetzung Griechisch-DeutschDietzfelbinger, Ernst.Das Neue Testament: Interlinearübersetzung Griechisch-Deutsch Neuhausen-Stuttgart: Hänssler, 1986. vermittelt folgenden Wortlaut:

Philipper 1,21
Denn für mich (ist) das Leben Christus und das Sterben Gewinn.

Ganz betont steht zu Beginn des Verses: "Denn für mich …". Diese Aussage ist von großer Bedeutung für das rechte Verständnis dieses Verses, wie auch des gesamten Abschnitts, in dem dieser Ausspruch des Paulus steht. Dieser Wortlaut verdeutlicht, dass diese Worte nicht einfach verallgemeinert werden können, als seien sie eine allgemein gültige Wahrheit, die auf jeden Menschen und dessen Sterben zutrifft. Paulus redet von sich, von seiner Person. Wir erkennen auch, dass der griechische Text eigentlich nicht den Ausdruck "mein Gewinn" enthält, sondern dieser Ausdruck sich durch die Übersetzung ins Deutsche ergibt, wobei der ursprüngliche Text allerdings nicht direkt wörtlich übertragen wurde.

Nun ist zu erörtern, inwieweit und auf welche Weise "für mich [für Paulus]" einerseits das Leben Christus und andererseits das Sterben Gewinn war. Was bedeuten diese Wörter "für mich [Paulus]"? Worauf bezieht sich Paulus hier? Wie war "für mich" das Leben Christus und das Sterben Gewinn?

Wie wichtig ein korrektes Verständnis ist, wird klar, wenn man sich kurz vergegenwärtigt, dass diese Wörter durchaus ganz unterschiedlich verstanden werden könnten: Ging es um einen Gewinn für Paulus (wie leicht aus "mein Gewinn" der Luther 1984 Bibel geschlossen werden könnte)? Ging es um sein Sterben im Gegensatz zum Sterben eines anderen? Hat "für mich" damit zu tun, dass Paulus diese Dinge so erachtete, dass er sie so sah, dass sie ihm dies bedeuteten?

Worum geht es überhaupt?

Eine Antwort auf die Frage nach der Bedeutung dieser Wörter kann vom Kontext her gegeben werden. Paulus schildert seine Situation vor dem Hintergrund seines Dienstes als Apostel Jesus Christi und erwähnt einige bedeutsame Faktoren, die uns zur rechten Auslegung hinführen.

Philipper 1,12-21
12Ich lasse euch aber wissen, liebe Brüder: Wie es um mich steht, das ist nur mehr zur Förderung des Evangeliums geraten.
13 Denn dass ich meine Fesseln für Christus trage, das ist im ganzen Prätorium und bei allen andern offenbar geworden,
14 und die meisten Brüder in dem Herrn haben durch meine Gefangenschaft Zuversicht gewonnen und sind um so kühner geworden, das Wort zu reden ohne Scheu.
15 Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht:
16 diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege;
17 jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft.
18 Was tut’s aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen;
19 denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi,
20 wie ich sehnlich warte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod.
21 Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.

Als erstes ist festzustellen, dass es Paulus in diesem gesamten Abschnitt um "die Förderung des Evangeliums" geht. Die Förderung des Evangeliums, die Verbreitung der Botschaft Christi, ist der eigentliche Hauptgedanke des ganzen Abschnitts! In Verbindung damit sind dann die anderen Einzelheiten seiner Ausführungen zu verstehen.

Vers 12-14 lassen erkennen, dass Paulus zur Zeit der Abfassung dieses Briefes in GefangenschaftEs handelte sich hier wohl um die sogenannte 1. römische Gefangenschaft, aus der Paulus offenbar wieder frei kam. war. Er war wegen der Verbreitung des Evangeliums und seiner Verkündigung der frohen Botschaft Christi in Rom in Gefangenschaft. Dort hatte er aber ungebrochen und unentwegt auch während seiner Gefangenschaft sich treu zu Christus bekannt und das Wort auch weiterhin freimütig kundgetan. Wie er nun hier mitteilt, war durch ihn sogar "im ganzen Prätorium und bei allen andern offenbar geworden", dass er um der Sache Christi willen Fesseln trug.

Allein in dieser Hinsicht war selbst seine Gefangenschaft ("wie es um mich steht") zur Förderung des Evangeliums geraten, obwohl dies ganz sicher nicht unbedingt das "normale" Resultat eines solchen Umstandes ist. Aber damit noch nicht genug ... Des Paulus Gefangenschaft erwies sich noch in anderer Hinsicht als förderlich für das Evangelium, denn die meisten Brüder hatten durch des Paulus Beispiel nun noch größere Zuversicht gewonnen und redeten jetzt um so kühner und mit Freimut und ohne Scheu das Wort Gottes.

Paulus sah daher in der Situation mit seiner Gefangenschaft etwas, was sich in mehrfacher Hinsicht als zur Förderung des Evangeliums dienlich erwiesen hatte. Was für ihn eigentlich normalerweise als "Verlust" anzusehen war - die Einschränkung seiner persönlichen Freiheit, der ansonsten erniedrigende Aufenthalt im Gefängnis -, das hatte sich in diesem Falle als "Gewinn" für die Sache Christi erwiesen! Für Paulus ("für mich") ergab sich daher ein erfreuliches Bild der Gesamtsituation, da er nicht auf sich selbst sah, sondern die Sache seines Herrn im Blick hatte und in der Förderung des Evangeliums bereits ganz sicher einen Gewinn erkannte!

Bemerkenswert ist ebenfalls noch, was Paulus angesichts einiger Trübsal sagt, die auch mit dieser Förderung des Evangeliums verbunden war. Nicht alle Brüder nutzten die Gelegenheit, um in guter Absicht das Wort zu verkünden, denn einige machten sich des Paulus Abwesenheit zunutze, um aus Eigennutz und unlauteren Motiven heraus nun anscheinend ihre Position und ihren Einfluss in der frühen Gemeinde gegenüber Paulus zu stärken. Dabei war es ihnen gleich, dass durch ihre Machenschaften Paulus selbst noch größere Not litt, als bereits die Tatsache der Gefangenschaft mit sich brachte. Und doch, sogar in diesem Tun sah Paulus eine Sache, über die er sich freute - "wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise"! Offenbar predigten sie alle Christus, lediglich die Motivation einiger war unlauter und unangebracht. Paulus freute sich trotz der schlechten Motive einiger Prediger, dass Christus verkündigt wurde, denn darin lag ebenfalls weiterhin ein "Gewinn" für die Sache Christi. Auch wenn er selbst darunter Trübsal litt, so war ihm das dennoch Anlass zur Freude.

Leben und Sterben für die Sache Christi

Aus den weiteren Worten des Paulus wird nun ersichtlich, dass er bereits sicher war bzw. schon wusste, dass er aus dieser Gefangenschaft wieder frei kommen würde. Er erwartete nämlich eigentlich, nicht zu sterben, sondern wieder zu den Gläubigen nach Philippi zu kommen.

Eingebettet in diesen Abschnitt über seine Zuversicht, dass ihm dies alles zum Heil ausgehen und er sie wiedersehen würde, sind nun die Worte des Paulus über Leben und Sterben.

Philipper 1,18-26
18 … Aber ich werde mich auch weiterhin freuen;
19 denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi,
20 wie ich sehnlich warte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod.
21 Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.
22 Wenn ich aber weiterleben soll im Fleisch, so dient mir das dazu, mehr Frucht zu schaffen; und so weiß ich nicht, was ich wählen soll.
23 Denn es setzt mir beides hart zu: ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre;
24 aber es ist nötiger, im Fleisch zu bleiben, um euretwillen.
25 Und in solcher Zuversicht weiß ich, dass ich bleiben und bei euch allen sein werde, euch zur Förderung und zur Freude im Glauben,
26 damit euer Rühmen in Christus Jesus größer werde durch mich, wenn ich wieder zu euch komme.

Der Ausgang dieser Situation ist klar: Paulus würde aus dem Gefängnis freigelassen werden. Er beabsichtigte, dann erneut zu ihnen zu kommen, sie in Philippi aufzusuchen, was für sie "zur Förderung und zur Freude im Glauben" sein würde und wodurch ihr "Rühmen in Christus Jesus größer werde". Wir erkennen, dass Paulus auch bzgl. seiner Freilassung und seines weiteren Dienstes unter ihnen die Förderung des Evangeliums im Auge hatte, hier umschrieben mit den Worten, dass die Philipper gefördert würden im Glauben.

Warum aber erwähnte Paulus nun die Möglichkeit seines Sterbens, da er doch bereits wusste, dass er nicht sterben würde? Im direkten Zusammenhang dieser Stelle erhalten wir den Schlüssel zum rechten Verständnis, denn auch seine Worte über einen möglichen Tod, und zwar einen gewaltsamen Tod, eine Hinrichtung, führen den Gedanken bzgl. der Förderung des Evangeliums weiter! Paulus führte den Philippern vor Augen, welch große Bedeutung für ihn die Verbreitung des Wortes Gottes, die Verkündigung des Evangeliums, hatte. Für dieses Ziel, die Förderung des Evangeliums, war Paulus kein Preis zu hoch. Wie wir wissen, bestand auch die Möglichkeit, dass Paulus in Verbindung mit seinem Amt als Apostel und der Verbreitung des Wortes Gottes hingerichtet würde. In dieser Situation hier kam es nicht dazu, aber nur wenige Jahre später geschah es tatsächlich.

Paulus zeigte den Philippern auf, was ihm die Verkündigung und Förderung des Evangeliums bedeutete, wobei es ihm in gar keiner Weise um die Person noch die Lebensumstände dessen ging, der das Wort redete. Für ihn ("für mich"), so sagte Paulus schließlich, bedeutete Leben Christus, d.h. sich ganz in den Dienst der Förderung des Evangeliums Christi stellen. Und für ihn bedeutete Sterben (gewaltsam, um der Sache Christi willen) dennoch Gewinn, nämlich Gewinn im Hinblick auf die Sache Christi. Dabei müssen wir daran denken, dass Paulus in seinen Gedanken natürlich weiterführte, was er zuvor bereits gesagt hatte - wenn schon seine Gefangenschaft zu "Gewinn" in der Sache Christi gediehen war, so erwartete er, dass eine eventuelle Hinrichtung nur noch mehr oder doch zumindest in gleicher Weise dazu führen würde, dass viele andere Freimut gewinnen und das Wort nur noch kühner und freier verkündigen würden. Nur aus solcher Sicht ergibt das einen Sinn, was Paulus ausdrückt mit den Worten: "… Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod."

Wir erkennen, dass Paulus hier keineswegs lehrte, dass das Sterben allgemein ein Gewinn für den Sterbenden ist!

Paulus sah das Sterben auch für sich selbst nicht als einen persönlichen Gewinn, nein! Er gewann dadurch nichts, er verlor vielmehr sein Leben! Der Gewinn, den sein Sterben in dieser besonderen Situation (!) hätte haben können, war der Gewinn in der Sache Christi, dass selbst durch das Sterben Christus an seinem Leibe verherrlicht worden wäre. Er selbst hatte keinen Gewinn ("mein Gewinn"), sondern er achtete es ("für mich") als Gewinn (in der Sache Christi).

Aus der Welt scheiden und bei Christus sein

In diesem Zusammenhang will ich nun noch eine weitere Aussage aus Vers 23 erörtern, die auch oft zitiert wird, um anzuzeigen, dass Sterben deshalb ein Gewinn sei, weil man sofort beim Herrn ist. Diese Meinung scheint auch bei vielen Bibelübersetzern vorzuherrschen, wie die Übersetzungen der Stelle in Vers 23 aufzeigt. In der Lutherbibel lautet die Stelle:

Philipper 1,22-24
22 Wenn ich aber weiterleben soll im Fleisch, so dient mir das dazu, mehr Frucht zu schaffen; und so weiß ich nicht, was ich wählen soll.
23 Denn es setzt mir beides hart zu: ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre;
24 aber es ist nötiger, im Fleisch zu bleiben, um euretwillen.

Die Vorstellung, dass dieser Ausdruck "aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein" sich auf den Tod, also das Sterben bezieht und dass man sofort nach dem Ableben bei Christus sei, muss unbedingt im Lichte einiger anderer Aussagen der Schrift verstanden werden.

Der Ausdruck "bei Christus sein" ist der eigentliche Schlüssel zum rechten Verständnis, denn uns wird in 1. Thessalonicher 4:13ff mehr dazu mitgeteilt, wann bzw. ab wann überhaupt Christen nach ihrem Sterben bei Christus sein konnten.

1. Thessalonicher 4,13-17
13 Wir wollen euch aber, liebe Brüder, nicht im Ungewissen lassen über die, die entschlafen sind, damit ihr nicht traurig seid wie die andern, die keine Hoffnung haben.
14 Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die, die entschlafen sind, durch Jesus mit ihm einherführen.
15 Denn das sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, dass wir, die wir leben und übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, denen nicht zuvorkommen werden, die entschlafen sind.
16 Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und zuerst werden die Toten, die in Christus gestorben sind, auferstehen.
17 Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit.

In diesem Abschnitt berichtet uns Paulus von "so werden wir bei dem Herrn sein allezeit". Solches geschieht erst bei "der Ankunft des Herrn", und es wird zunächst nicht in Verbindung gebracht mit dem, was im Augenblick des Sterbens geschieht. Paulus schreibt ja vor der Ankunft des Herrn, und noch war daher aus seiner Sicht die Ankunft des Herrn ein zukünftiges Ereignis, das noch nicht eingetreten war. Die Gläubigen, die bis zu jenem Zeitpunkt entschlafen waren, blieben bis zur Ankunft des Herrn im Grabe, im Totenreich. Erst mit der Ankunft, dem Kommendes Herrn wurden sie auferweckt und zusammen mit denen "entrückt", die zu dem Zeitpunkt leben und übrig bleiben würden, um dann und danach - aber eben nicht vorher - bei dem Herrn zu sein allezeit.

Ein "bei dem Herrn sein" unmittelbar nach dem Sterben ist also erst möglich mit und seit der Ankunft des Herrn, nachdem die Toten im Totenreich in der Auferstehung der Toten am jüngsten Tage von den Toten auferweckt wurden. Vor der Ankunft des Herrn waren alle Verstorbenen, auch die in Christus Entschlafenen, zunächst im Totenreich, "im Grabe", wo sie der Auferweckung von den Toten harrten.

Wovon hat dann Paulus zu dem Zeitpunkt gesprochen, als er diesen Brief an die Philipper verfasste und davon redete, dass er Lust habe, "aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein"? Und, was heißt hier dann, "was auch viel besser wäre" - viel besser als was?

"Aus der Welt scheiden"

Philipper 1,23
Denn es setzt mir beides hart zu: ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre;

Die Wortwahl bei der Übersetzung und die Zeichensetzung in der Lutherbibel scheinen darauf hinzuweisen, dass Paulus von diesen zwei Möglichkeiten bedrängt wurde, was einige Fragen aufwirft. Warum würde er sich vom Weiterleben im Fleisch im Dienste Christ bedrängt fühlen? Warum würde er nun das, was er zuvor als Gewinn ansah ("für mich ... Sterben Gewinn"), eine "Bedrängung" nennen? Auch würden die weiteren Ausführungen des Paulus ebenfalls eher unverständlich werden im Lichte dessen, was diese Worte hier in der vorliegenden Übersetzung auszusagen scheinen.

Auch diesen Vers sollten wir vom griechischen Text her näher untersuchen; in der Interlinearübersetzung lautet der Text:

Philipper 1,23 (Interlinear Übersetzung)
Bedrängt werde ich aber von den zwei (Möglichkeiten): die Begierde habend zu dem Aufbrechen (=Sterben) und Bei-Christus-Sein; denn viel mehr besser (=denn das wäre weitaus das beste)

Zunächst stellte Paulus fest: "… es setzt mir beides (die davor erwähnten zwei Möglichkeiten) hart zu" bzw. "bedrängt werde ich aber von den zwei (Möglichkeiten)". Die zwei zuvor angesprochenen Möglichkeiten waren: (1) Sterben und (2) weiter im Fleisch leben. Im griechischen Text heißt es hier wörtlich: "bedrängt [gedrängt] werde ich von [ek - aus, heraus aus] den zwei Möglichkeiten …" Paulus legte dar, dass etwas ihn aus diesen zwei Möglichkeiten heraus drängte, dass es etwas gab, was diese zwei Möglichkeiten quasi "verdrängen" würde, und davon redet er dann weiter.

Paulus erwähnte offensichtlich eine dritte Möglichkeit, die für ihn wesentlich mehr bedeutete als die beiden zuvor angesprochenen und für die er wahrlich eine "Begierde", d.h. ein großes und ernstliches Verlangen hatte. Diese dritte Möglichkeit umschreibt Paulus dann mit zwei Begriffen: (1) "das Aufbrechen" und (2) "das Bei-Christus-Sein". Diese zwei Begriffe beziehen sich nicht auf zwei verschiedene Ereignisse, sondern auf ein Ereignis, auf eine Sache. Was aber ist dieses Ereignis? Etwa der Tod, wie die Übersetzung "aus der Welt scheiden" im heutigen Sinne anzeigt, oder wie der Zusatz "(=das Sterben)" in der Interlinearübersetzung erläutert?

Die griechischen Wörter für "aus der Welt scheiden" sind to analusai, eine substantivierte Form des Wortes analuo. Es bedeutet, wenn als intransitives Verb benutzt, "aufbrechen, abfahren, (auch) zurückkehren" bzw. im Zusammenhang von Tod auch "abscheiden, sterben" (vgl. Menge-Güthling, Wörterbuch Altgriechisch-Deutsch, Verlag Langenscheidt). Die eigentliche Bedeutung ist zunächst "aufbrechen", "sich von einem Ort aus zu einem anderen in Bewegung setzen", bei Schiffen auch "in See stechen" bzw. vom Ankerplatz "ablegen". Die Interlinearübersetzung gibt dies korrekt wieder, auch als substantiviertes Verb. Es geht um einen Aufbruch, ein Aufbrechen.

Dieses Wort kommt in der Bibel noch an einer anderen Stelle vor, in Lukas 12.

Lukas 12,36
und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun.

Hier wird analuo mit "aufbrechen" übersetzt - es bezeichnet den Weggang des Herrn von jenem Ort, in diesem Falle, um von dort wieder nach Hause zurückzukehren.

Manche Übersetzer übersetzen analuo auch als "zurückkehren" oder "zurückkommen", besonders in Lukas 12:36. Diese Übersetzung wird dann auch auf Philipper 1,23 übertragen, und von dieser Übersetzung leiten manche ab, dass Paulus sich hier nach einer "Rückkehr" sehnt, und schnell wird dieses Wort dann auf die "Rückkehr" Christi gedeutet. Man muss aber beachten, dass der Vers nicht von Christus redet, sondern von Paulus, und dass grammatisch gesehen dieses "Aufbrechen" wie auch das "Bei-Christus-Sein" den Paulus betrifft und nicht Christus. Es ist hier nicht die Rede davon, dass Christus "zurückkehrt" und "bei Christus sein" will - nein, Paulus will "aufbrechen" und "bei Christus sein"!

Auch gibt es die Deutung, dass analuo die "Rückkehr" des Menschen zu Erde, also seinen Tod, bedeutet, in Anlehnung an 1. Mose 3,19: "… bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden." Auch diese Deutung ist im Lichte der verschiedenen anderen bereits erwähnten Wahrheiten bzgl. dieses Themas an dieser Stelle in Philipper 1 eigentlich nicht möglich.

Ich hatte bereits aus 1. Thessalonicher 4 aufgezeigt, dass der Zeitpunkt der Möglichkeit eines Bei-Christus-Seins der Zeitpunkt des Kommens des Herrn, der Ankunft Christi, ist. Wie wir auch noch aus anderen Stellen in den Briefen des Neuen Testaments ersehen können, hatte Paulus, wie die anderen Gläubigen in der frühen Gemeinde auch, die große Erwartung auf eine baldige Erfüllung der Verheißung von Christi Kommen noch zu ihren Lebzeiten. Zum Zeitpunkt, als er an die Philipper schrieb, war dieses Ereignis noch nicht eingetreten, es lag vielmehr in der nahen Zukunft. Hier wird nun deutlich, dass Paulus zwar sein Sterben wie auch sein Weiterleben im Fleisch in Betracht zog, dass ihm aber eine andere Sache noch viel mehr bedeutete, nach der er sich sehnte, wonach ihn stark verlangte, ja wonach er begierig war: Dies war das Aufbrechen und Bei-Christus-Sein noch zu seinen Lebzeiten! Dabei hatte er vor Augen, einer von denen zu sein, die "leben und übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn". Ein solches Verlangen und eine solche Hoffnung waren auch kein utopisches falsches Wunschdenken, sondern wahre Hoffnung, da das Kommen des Herrn in der Tat zu dem Zeitpunkt nur wenige Jahre in der Zukunft lag und somit wahrhaftig "nahe" war (vgl. hierzu die verschiedenen Studien in der Rubrik Eschatologie).

1. Thessalonicher 4,15.17
15 Denn das sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, dass wir, die wir leben und übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, denen nicht zuvorkommen werden, die entschlafen sind.
17 Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit.

Diese gleiche Wahrheit verkündete Paulus auch in seinem Brief an die Korinther, als er das Thema der Auferstehung der Toten ausführlich erörterte.

1. Korinther 15,20-23.51-53
20 Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind.
21 Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten.
22 Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden.
23 Ein jeder aber in seiner Ordnung: als Erstling Christus; danach, wenn er kommen wird, die, die Christus angehören;
51 Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden;
52 und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune erschallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden.
53 Denn dies Verwesliche muß anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit.

Zusammenfassung

Nach dieser ausführlicheren Betrachtung einiger relevanter Schriftstellen ergibt sich, dass Paulus angesichts der Gefangenschaft, angesichts der vielen Verfolgungen, denen er ausgesetzt war, auch angesichts eines möglichen gewaltsamen Todes, an der Förderung des Evangeliums festhielt und darin seine große Aufgabe sah. Sein Weiterleben im Fleisch würde er wieder dazu nutzen, den Gläubigen zur Freude und zum Wachstum im Glauben zu dienen, um so sein Leben zur Verherrlichung Christi einzusetzen. Sollte er hingerichtet werden, was in diesem besonderen Fall nicht sein würde, so würde er selbst darin einen Gewinn für die Sache Christus sehen, "für mich", so sagt er, würde selbst ein gewaltsamer Tod "Gewinn" sein, wie es ja bereits mit seiner Gefangenschaft der Fall gewesen war, die ebenfalls zum Gewinn, d.h. zur Förderung des Evangeliums ausgefallen war und dazu geführt hatte, dass viele Brüder mit großem Freimut von Christus redeten. Aber diese zwei Möglichkeiten verblassten gegenüber einer dritten Möglichkeit, die ihn aus diesen zwei Möglichkeiten gar herausdrängte und nach der er sich sehnte: Ihn verlangte danach, bis zum Kommen Christi "übrigzubleiben" und diese selbst noch zu erleben.

 

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