von
Wolfgang Schneider
Alle im letzten Abschnitt erwähnten Prinzipien sind nicht nur jeweils für sich allein zu sehen, sondern auch zusammen, da in vielen Fällen die rechte Auslegung auf der Anwendung mehrerer Schlüssel beruht.
Diese Prinzipien sind von großer Bedeutung, vor allem sind sie sozusagen "unabhängig" von der einzelnen Person, die sich mit der Bibel beschäftigt. Diese Schlüssel sind von allen Lesern in gleicher Weise anzuwenden, es sind "objektive" und allgemein gültige Ansatzpunkte, und nicht eine "subjektive" Einzelmeinung, um zu einem besonderen Verständnis der Schrift zu gelangen.
Die erste Gruppe von Prinzipien zur rechten Auslegung der Bibel befasst sich mit Punkten, die alle jeweils die einzelne Schriftstelle betreffen, wo etwas geschrieben steht, ohne dass dabei andere Stellen unbedingt betroffen sind.
I. Die einzelne Schriftstelle für sich ("im Vers" - wo etwas geschrieben steht)
Die hier aufgeführten Prinzipien betreffen jeweils nur die Schriftstelle bzw. dort benutzte Ausdrücke und Begriffe. Sie sind das Werkzeug zur rechten Auslegung des bei weitem größten Teils der Bibel. Viele, viele Schriftstellen können korrekt verstanden und ausgelegt werden, wenn man diese Prinzipien anwendet.
Hierbei sind die Aussagen in einem Vers in sich klar. Was geschrieben steht, ist jeweils so, wie es da steht, ohne weiteres direkt verständlich.
Bitte die folgenden Verse aufschlagen und lesen:
1Mo 1,1
Joh 3,16
1Jo 4,4
1Jo 4,9-11
Das in diesen Versen Gesagte ist so zu verstehen, wie es dort steht. Sicher, der ein oder andere Ausdruck mag noch bestimmte weitere Nuancen und Bedeutung haben ... aber grundsätzlich sind die Aussagen direkt aus dem jeweiligen Vers heraus und genau so, wie sie dort stehen, verständlich.
Große Teile des Wortes Gottes, und insgesamt sicher der bei Weise korrekt ausgelegt werden - wo sie stehen und wie es dort geschrieben steht.
Bei der Auslegung einer Schriftstelle müssen Bedeutung und Sprachgebrauch der Wörter im Lichte der Bibel verstanden werden, wobei zwei Hauptkategorien zu beachten sind:
Worte und Begriffe werden in der Bibel manchmal in anderer Weise und mit anderer Bedeutung gebraucht als in der außerbiblischen, weltlichen Literatur.
"Gemeinde"
Apg 7,38
2Mo 12,3
1Ko 1,1.2
"Gemeinde" wird biblisch immer für eine Gruppe von Personen benutzt, die zu einem bestimmten Zweck aus einer größeren Menge herausgerufen sind; etwa für Israel im AT und die "Gemeinde Gottes" die Gemeinde des Leibes Christi, die Geheiligten in Christus, d.h. die an Christus Gläubigen) im NT.
Im außerbiblischen Sprachgebrauch kann "Gemeinde" ebenfalls eine Gruppe von Leuten bezeichnen, manchmal aber auch einen Ort, ein Dorf, ohne, dass es einen Bezug zum biblischen Sinn gibt. Der manchmal für "Gemeinde" benutzte Begriff "Kirche" bezeichnet u.a. Institutionen, ja sogar Gebäude, und hat in solchen Zusammenhängen mit einer "Gruppe von Menschen" direkt nichts mehr zu tun.
Weiterhin ist zu beachten, dass Wörter in biblischen Zeiten und auch zur Zeit der Anfertigung einer Bibelübersetzung u.U. eine etwas andere Bedeutung hatten als jetzt. Jede lebendige Sprache verändert sich im Laufe der Zeit, und Revisionen von Bibelübersetzungen bzw. neue Übersetzungen versuchen gerade dieses Problem nach Möglichkeit zu beheben.
Joh 8,46
Jemanden "einer Sünde zeihen" bedeutet, jemandem "eine Sünde nachweisen" oder ihn einer Sünde "beschuldigen".
Es gibt verschiedene Arten von Redefiguren, und viele kommen in der Bibel vor (über 200, teilweise mit Untergruppierungen). Bei Redefiguren handelt es sich jeweils um gewollte Abweichungen vom normalen Sprachgebrauch, z.B. in der Form, Satzstellung, Bedeutung, usw.
Grundsatz:
Wenn und wo es möglich ist, muss das Wort Gottes immer wörtlich verstanden werden. Wenn etwas nicht wörtlich verstanden werden kann, weil es dann keinen Sinn ergäbe, liegt eine Redefigur vor.
Phi 3,1.2 - "Hunde"
Mat 3,7 - "Schlangenbrut"
Joh 6,35 - "Ich bin das Brot des Lebens"
Der Gebrauch von Redefiguren im Wort Gottes ist nie willkürlich, sondern eine jeweils beabsichtigte Abweichung von den normalen Sprachregeln. Redefiguren dienen immer der Betonung, der Hervorhebung, und sie machen eine Aussage lebendiger, gewichtiger! Redefiguren sind Gottes Mittel und Markierung, um bestimmte Punkte in seinem Wort zu betonen und hervorzuheben. Redefiguren sind Gottes Markierung dessen, was er betont haben wollte.
Ähnlich wie bei Redefiguren und manchmal direkt damit verbunden, muss man auch beachten, dass vielleicht Bezug genommen wir auf typisch orientalische Sitten und Bräuche, die man korrekt verstehen muss, um die Wahrheit recht zu verstehen.
Die Bibel wurde Menschen eingegeben und von Menschen aufgeschrieben, die nicht der heutigen Zeit und nicht unserem abendländischen Kulturkreis entstammten. Gott hat sein Wort in Begriffen und Worten offenbart, die sie verstanden und die Teil ihres Vokabulars und Lebens waren, und er nutzte Illustrationen, die zu ihrem Lebensraum gehörten.
Jes 1,2.3
Am Morgen wurden Ochs und Esel aus dem Dorf hinaus auf die Weide geführt, und am Abend brachte man sie lediglich bis zum Ortsrand zurück und ließ sie dann einfach laufen, denn Ochs und Esel wussten, wo sie zu Hause waren und wer ihr Herr war. Israel aber war "dümmer als Ochs und Esel", es kannte seinen Herrn nicht.
Spr 3,3.4
Im Orient trug man wichtige und wertvolle Dinge um den Hals. Man schrieb auf Tafeln, denn das hatte Bestand. Die Aussage ist keine Aufforderung, sich Amulette und Glücksbringer oder christliche Symbole um den Hals zu hängen, sondern betont, wie wichtig uns Gottes Gebote sein sollen - wir sollen sie immer bei uns haben, sollen sie in unserem Herzen bewahren.
Psa 121,1.2
Götzentempel und Heiligtümer wurden grundsätzlich auf Hügeln, auf Höhen, auf Bergen errichtet. Des Psalmisten Hilfe aber kam nicht von den Bergen, sondern vom Herrn. Vers 1 sollte besser als Frage verstanden werden. die Antwort folgt dann in Vers 2.
Hebe ich etwa meine Augen auf zu den Bergen? Woher kommt mir Hilfe?
Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat."
Manche Schriftstellen erklären sich zwar eigentlich an der jeweiligen Stelle, aber es werden Wörter oder Begriffe benutzt, die dort direkt nicht weiter definiert sind. Zu einer korrekten Auslegung braucht man auch nicht unbedingt den Zusammenhang als Schlüssel zum Verständnis, sondern lediglich die Definition des einen Begriffs, die aber vielleicht an einer ganz anderen Stelle der Schrift gegeben wird.
Oft gibt der 1. Gebrauch eines Wortes im Wort Gottes Aufschluss, was gemeint ist. Manchmal wird ein Begriff auch erst an späterer Stelle genauer definiert.
2Ko 12,7
Schon hier, "wo es geschrieben steht", wird die Auslegung gegeben und gesagt, was der Pfahl im Fleisch des Paulus war: Es war "des Satans Engel [des Satans Bote]". Bei dem Ausdruck "Pfahl im Fleisch" handelt es sich also um eine Redefigur, denn es ist nicht wortwörtlich ein "Pfahl" gemeint.
Mehr erfahren wir dann, wenn wir andere Vorkommen des Wortes für "Pfahl" einbeziehen. An vorheriger Stelle kommt dieses Wort bereits vor.
4Mo33,55 - die Bewohner des Landes als "Dornen, Pfähle"
Hes 28,24 - Menschen als "Dorn"
Was war des Paulus Pfahl im Fleisch? Bei dem "Pfahl" handelte es sich um Menschen, die Paulus zusetzten, die unter dem Einfluss des Satans standen und daher als "des Satans Engel [Satans Boten]" den Apostel Paulus in seinem Wirken zu hindern suchten.
Die erste große Gruppe von Prinzipien zur rechten Auslegung der Bibel befasst sich mit der einzelnen Schriftstelle für sich ("im Vers" - wo etwas geschrieben steht). Viele Stellen, sicherlich der Großteil der Schrift, ist mit Hilfe dieser Prinzipien auszulegen und korrekt zu verstehen.
In dieser Lektion folgen nun einige weitere Beispiele.