Vom Gymnasialdirektor zum Bibelübersetzer
"Ich war unfraglich für die Außenwelt eine Respektsperson, die es auch in
religiöser Beziehung an nichts fehlen ließ; ich stand ja doch zu der
Kirche und ihren Dienern auf freundschaftlichern Fuße, hielt mich als
Vorbild für meine Schüler und Kollegen zur Kirche und zum Abendmahl,
sorgte mit aufrichtigem Eifer dafür, daß an jedem Morgen
Schulandachten gehalten und beim Schulbeginn und Schulschluß feierliche
Ansprachen an die Schüler in der Aula gerichtet wurden und zeitigte durch
mein Verhalten das großartige Ergebnis, daß die beiden Gymnasien,
deren Leitung mir oblag, als besonders christliche Anstalten angesehen und
geschätzt wurden."
Dieses lange, aber gut zu lesende Zitat stammt von
dem Bibelübersetzer Hermann Menge (1841?1939), der in den Jahren 1900 bis
1922 in der Kaiserstadt Goslar eine auch heute noch gut verständliche und
bedeutende Bibelübersetzung schuf. Handelte es sich bei ihm, wie man nach
obigem Zitat vermuten könnte, um einen selbstgefälligen, bornierten
Zeitgenossen, der aus lauter Eitelkeit auch noch eine eigene
Bibelübersetzung zur Schau stellen wollte? Mitnichten. Denn die
Fortsetzung des Zitates bringt eine überraschende Wende: "Und dabei - Gott
sei's geklagt! ? war mir das Wesen des Christentums völlig fremd und
unbekannt wie die Bibel... Sie war mir geradezu ein mit sieben Siegeln
verschlossenes Buch geblieben.", so fährt Menge ernüchternd fort.
Eine Wende trat 1899 ein, als er ? mit der Vorbereitung einer Morgenandacht
befaßt ? plötzlich erkannte, wie unbekannt ihm die Bibel eigentlich
war. Er begann, das Neue Testament systematisch zu studieren, wobei ihm der
Eintritt in den Ruhestand im Jahr 1900 zugute kam. Plötzlich fand er sich
als übersetzer des Neuen Testaments wieder, das auch sofort nach
Fertigstellung von einem Verleger übernommen und mit schönen Bildern
versehen als Prachtausgabe auf den Markt kam.
Hermann Menge übersetzte
nun zwölf Jahre lang auch das Alte Testament. Es gelangte
schließlich in die Hände der Württembergischen Bibelanstalt.
Die in den Jahren 1900 bis 1922 vom Gymnasialdirektor Hermann Menge
angefertigte übersetzung galt eher als ein Geheimtip für Leute, die
sich von der veralteten Frakturschrift (Gesamtauflage bisher: 280 000) nicht
abschrecken ließen. Nun ist sie seit wenigen Jahren in einer in
Antiquaschrift auf den Markt.
Die Menge Bibel vereinigt in sich die Vorzüge von zwei genau entgegengesetzten
übersetzungstypen? dem wörtlichen und dem sinngemäßen. Damit
befriedigt sie einerseits das Interesse an einer genauen Wiedergabe des
Wortlauts ("Was steht im
Urtext?"), andererseits trägt sie auch dem Bedürfnis Rechnung, das
Geschriebene zu verstehen ("Was ist gemeint?"). Menge übersetzt im
Konfliktfall sinngemäß, aber mit einem Respekt vor dem Wortlaut, der
den Gegensatz der Methoden vergessen läßt. Dabei findet er
Wortprägungen, die modern klingen und doch genau den Sachverhalt treffen.
Menges "ganz allmählich" hervorgetretene persönliche
Frömmigkeit floß nicht etwa als "erbauliches" Moment in seine
übersetzung ein, sie wirkte vielmehr als Antrieb zu dem immensen Werk. So
zeichnet sich die Menge?Bibel vor allem durch unbeirrbare Sachlichkeit aus. Der
übersetzer macht nichts aus dem Text, sondern stellt sich ganz in seinen
Dienst.
Ganz direkt der Verständlichkeit dienen zwei Besonderheiten:
Fußnoten (zum Teil auch in Klammern im Text) mit alternativen
übersetzungsmöglichkeiten, sowie ein mehrstufiges System von
überschriften, die zugleich Gliederung und deutende Inhaltsangabe bieten.
Wer von einer Bibelübersetzung solide Information und zugleich Stil ohne
Patina erwartet, wird von Menge nicht enttäuscht werden.
Menge, Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments, übersetzt von Hermann Menge. Unveränderter Nachdruck der 11 Auflage von 1949, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart; ab 1994 in Antiquaschrift ohne Spätschriften. Erstausgabe NT 1923, Bibel 1926.
(Information: Hellmut Haug / Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart)