Einleitung

Wenn es eine Diskussion über die Trinitätslehre gibt und Argumente und Beweise angeführt werden, die zeigen, dass Jesus Gott ist, dann wird sehr schnell eine Stelle aus dem Römerbrief zitiert, die in vielen gängigen Übersetzungen in der Tat den Eindruck erweckt, als lehre der Apostel Paulus, dass Jesus Gott ist über alles.

Römer 9,5
denen auch die Väter gehören, und aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch, der da ist Gott über alles, gelobt in Ewigkeit. Amen.

Wie der Vers hier übersetzt wurde, sagt er eindeutig, dass Christus "ist Gott über alles, gelobt in Ewigkeit". Das Problem ist aber, dass diese Aussage in keiner Weise mit allen anderen Schriftstellen bzgl. Jesus Christus und Gott übereinstimmt. Paulus erwähnt sonst nirgends auch nur annähernd etwas davon, dass Jesus Christus Gott sei. Er trennt vielmehr Gott, den Vater Jesu, sehr genau und beständig von Jesus Christus, dem Sohn dieses Gottes. Wie kann es also sein, dass Paulus hier nun an einer einzelnen Stelle sich selbst widerspricht? Oder widerspricht er sich vielleicht gar nicht, und das Problem ist ein Problem der Übersetzer und liegt nicht bei Paulus?

Überlegungen zur Textüberlieferung

Interessant ist, dass einige Übersetzungen diesen Vers etwas anders übersetzen. Dabei unterscheiden sie sich noch nicht einmal so sehr im Wortlaut, sondern vielmehr in der Zeichensetzung, d.h. in der Unterteilung der Sätze. Hier folgen zwei Beispiele:

Römer 9,5 (unrev. Elberfelder)
deren die Väter sind, und aus welchen, dem Fleische nach, der Christus ist, welcher über allem ist, Gott, (O. Gott ist über alles) gepriesen in Ewigkeit. Amen.

Die unrevidierte Elberfelder Bibel enthält eine in Klammern eingeschlossene Anmerkung mit einer alternativen Übersetzung und Satzfolge. Diese Satzfolge und Zeichensetzung gibt dem Satz einen völlig anderen Sinn, denn nun ist nicht Christus Gott über alles, sondern "Gott ist über alles" - ein ganz entscheidender Unterschied. Die gleiche Art von Übersetzung und Handhabung des Textes findet sich in der Gute Nachricht Übersetzung.

Römer 8,5 (Gute Nachricht)
Sie sind die Nachkommen der von Gott erwählten Väter, und zu ihnen zählt nach seiner menschlichen Herkunft auch Christus, der versprochene Retter. Dafür sei Gott, der Herr über alles, für immer und ewig gepriesen! Amen.

In diesem Zusammenhang muß man beachten, dass es in den alten Handschriften und den ursprünglichen Schriften keine Satzzeichen gab, wie wir sie heute aus den Übersetzungen kennen. Satzzeichen sind von entscheidender Bedeutung, um den Sinngehalt einer Aussage zu kennzeichnen. Die gleichen Wörter können eine völlig andere Aussage ergeben, wenn man die Satzzeichen anders setzt. Zunächst eine kurze Darstellung der Wortfolge im griechischen Text.


καὶ ἐξ ὧν Χριστὸς τὸ κατὰi σάρκαka
und aus denen der Christus der [eine] nach dem Fleisch der [eine]
 
ὢν ἐπὶ πάντων θεὸς εὐλογητὸς εἰς τοὺς αἰῶνας ἀμήν
seiend über alles Gott sei gelobt in die Zeiten Amen

Im Griechischen hat die Wortfolge weniger Bedeutung als im Deutschen. Die beabsichtigten Wortbedeutungen sind abhängig von Inflektionen dieser Wörter und nicht so sehr von der Wortreihenfolge. Der griechische Text in Römer 9,5 ermöglicht mehr als nur ein konzeptionelles Verständnis und somit auch mehr als nur eine mögliche Übersetzung. Im Grunde genommen gibt es aufgrund der Wortfolge und der Grammatik 3 Möglichkeiten, diesen Vers zu verstehen:

Was hat Paulus nun mit dieser Aussage gesagt? Welche der 3 obigen Möglichkeiten ist die korrekte? Wir müssen die Worte des Paulus recht verstehen und werden dann die enthaltene biblische Wahrheit auch korrekt verstehen.

Theologie des Paulus

Wenn wir die Worte des Paulus korrekt verstehen wollen, müssen wir uns andere Stellen im NT und insbesondere in den Paulinischen Schriften genau anschauen, um zu sehen, ob und wie Paulus eventuell die gleichen Ausdrücke benutzt hat. Ein kleiner Überblick über einige Stellen, in denen das Wort eulogetes ("gelobt sei") vorkommt, folgt hier, und es fällt auf, dass alle Stellen jeweils davon reden, dass GOTT gelobt sein soll:

Wir können anhand dieser Stellen unschwer feststellen, dass die Übersetzung in Römer 9,5, welche Christus zu dem Gott macht, der über alles ist und gelobt werden soll, nicht mit diesen Aussagen übereinstimmt, wohingegen die Übersetzung, welche Gott zu dem macht, der über allen ist und gelobt werden soll, mit diesen Aussagen harmonisch übereinstimmt. Das Wort "gelobt sei" bezieht sich an allen Stellen im NT immer darauf, dass Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, derjenige ist, der gelobt werden soll! Auch im Alten Testament taucht dieser Ausdruck bereits auf und auch dort bezieht er sich auf Gott, den HERRN, den Vater des Herrn Jesus. Zudem betont Paulus auch noch im unmittelbaren Kontext, dass er nicht lügt, was diese Aussagen angeht.

Manche bringen vor, dass das Wort für "sei gelobt" vor dem Wort "Gott" gestanden hätte, wenn Paulus wirklich aussagen wollte, dass Gott es ist, der gelobt sein soll. Das aber muss nicht unbedingt so sein, denn auch an anderer Stelle, wo eindeutig Gott gelobt wird und es gar keine Frage einer anderen Möglichkeit gibt, findet sich die in Römer 9.5 vorhandene Wortreihenfolge (vgl. 2Ko 11,31).

Paulus hat in seinen Briefen das Wort theos über 500 mal benutzt, und an keiner einzigen anderen Stelle hat er Jesus als "Gott" bezeichnet. Auch hat Paulus niemals Jesus als den himmlischen "Vater" bezeichnet, das wäre absolut unmöglich, und nicht nur für jemanden mit jüdischem Hintergrund. Paulus kennt nur Einen, der allein Gott ist, und dieser Eine ist der Vater des Herrn Jesus Christus (vgl. 1Ko 8,6 bzw. Eph 4,6). Manche verweisen vielleicht noch auf die Stelle in Titus 2,13 und meinen, da habe Paulus auch von Christus als Gott gesprochen. Dem ist jedoch nicht so, wie ich in einer Studie zu Titus 2,13 ausführlicher erläutert habe.

Wenn man bedenkt, wie oft und in welchem Ausmaß Paulus in seinen Schriften das Wort "Gott" benutzt und wie oft er über Jesus Christus schreibt, so wäre sicherlich das NT "voll" von Stellen, die uns über "Gott, den Sohn" berichten, wenn Paulus eine solche Dreieinigkeit überhaupt gekannt hätte. Ganz offensichtlich war Paulus ein solches Konzept von Gott und Jesus ist Gott absolut fremd, weshalb es sich auch nicht in seinen Briefen findet.

Paulus unterscheidet gezielt zwischen "Gott" und "Jesus" ... für ihn ist eindeutig nur Einer "Gott", und dieser Eine ist der Vater Jesu Christi und unser himmlischer Vater. Jesus ist "der Sohn" dieses Gottes, nicht aber ebenfalls "Gott".

In der Stelle in Römer 9 geht es um die Privilegien Israels, die sie gegenüber den Heiden hatten, wie etwa die Kindschaft, die Herrlichkeit, den Bund, das Gesetz, den Gottesdienst im Tempel, die Verheissungen, die Väter, und der Messias, der nach dem Fleisch aus ihnen war. Diese Wahrheit hatte Paulus bereits direkt zu Beginn des Briefes dargelegt und er greift sie hier erneut auf. Dann beendet er diesen kleinen Abschnitt mit einem Lob Gottes, der dies alles herbeigeführt hat und nach dessen Vorsehung dies alles geschah. Danach wendet er sich weiteren Einzelheiten bzgl. der Wahrheit, dass Jesus der Christus, der Messias, ist und was sich daraus für die Gläubigen ergibt.

Schlussfolgerung

Welche der oben erwähnten Möglichkeiten der Übersetzung und Zeichensetzung anhand der sprachlichen Gegebenheiten ist nun das, was Paulus gesagt bzw. gemeint hat? Wenn wir des Paulus Lehre in seinen Briefen in Erwägung ziehen, so ergibt sich, dass die Lösung, welche sich in vielen unserer heutigen Bibelübersetzungen findet, und durch die Christus als Gott bezeichnet wird, der über alles ist und gelobt ist, nicht mit den sonstigen Aussagen des Paulus in Einklang steht. Es bleiben die anderen zwei Möglichkeiten, welche davon reden, dass Gott gelobt ist in Ewigkeit. Von diesen ist dann die, welche das "der da über alles ist" ebenfalls Gott zuschreibt, am meisten mit den anderen Aussagen in den NT Schriften in Übereinstimmung.

Das Vokabular des Paulus, der sonstige Satzbau, Stil und die inhaltlichen Gedanken bei Paulus sind eigentlich eindeutig und zwingend, die Stelle in Römer 9,5 so zu übersetzen, wie es der eingeschobene Kommentar in der unrevidierten Elberfelder Bibel als Alternative vorgibt:

deren die Väter sind, und aus welchen, dem Fleische nach, der Christus ist. Gott ist über alles, gepriesen in Ewigkeit. Amen.

Es gibt absolut keinen logischen und vernünftigen Grund, die Aussage des Paulus trinitarisch zu verfärben und mittels einer zwar rein grammatikalisch möglichen, aber nicht dem Inhalt und der Aussage insgesamt gerecht werdenden Übersetzung und Zeichensetzung so zu gestalten, als wäre Christus der "Gott über alles". Alles in den Schriften des Apostels Paulus bestätigt, dass Jesu Vater allein der Gott ist, der über alles ist und der gelobt werde in alle Ewigkeit.

 

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