Einleitung

Bei einer Studie oder Erörterung der biblischen Berichte über die Person Jesu Christi steht auch heute sehr oft und auch sehr schnell die Frage nach seiner Präexistenz im Raum. Ganz besonders wird dieser Punkt von Verfechtern der Trinitätslehre betont und verteidigt, wobei sie unter einer Präexistenz Jesu seine reale Existenz als Gott von Ewigkeit her verstehen, also eine Existenz als "Gott", als ein "göttliches Wesen", als "Person der ewigen Gottheit", bevor er durch Gottes Wirken mittels heiligen Geistes in Maria empfangen und dann 9 Monate später als "Mensch" geboren wurde.

Man sollte sich jedoch fragen, ob eine solche Lehre überhaupt mit den biblischen Berichten in Einklang steht, oder ob es eine solche Präexistenz möglicherweise biblisch gesehen gar nicht gibt. Für manche Christen grenzt eine solche Frage schon fast an "Gotteslästerung" und "Häresie", denn sie sind der Meinung, dass die Dreieinigkeits- bzw. Dreifaltigkeitslehre absolut wahr ist und keinerlei Untersuchung bzgl. ihres Wahrheitsgehalts braucht. Wir dürfen uns aber nicht von einer solchen Einstellung ablenken und nicht von einer Studie dieses Themas abhalten lassen. Wenn diese Lehre wahr ist, wird sie auch einer strengen Untersuchung anhand des biblischen Zeugnisses ohne Probleme standhalten, und am Ende werden die, die sich damit befasst haben, lediglich gestärkt und in ihrer Überzeugung gefestigt aus einer solchen Studie hervorgehen. Andererseits, wenn sich anhand des biblischen Berichts herausstellen sollte, dass diese Lehre dem biblischen Zeugnis nicht standhält, werden die, die sich damit beschäftigt haben, am Ende dennoch der Wahrheit wesentlich näher sein, als sie es zuvor waren.

Es gibt also nichts zu verlieren, außer vielleicht einem falschen Verständnis und einem Glauben an eine falsche Lehre. Daher sollten wir freimütig und ohne Angst an die Aufgabe herangehen, dieses Thema der Präexistenz Jesu anhand der biblischen Berichte genauer zu untersuchen.

Präexistenz

Bevor wir uns einigen der Schriftstellen zuwenden, die oft benutzt werden, um eine Präexistenz Jesu zu belegen, will ich zuerst die Definition des Wortes "Präexistenz" aus der Brockhaus Enzyklopädie angeben, sicherlich eine der renommiertesten Quellen für lexikalische Angelegenheiten.

Präexistenz, die Vorstellung, daß diese Welt, wichtige normative Größen (z.B. hl. Schriften), alle oder besondere Menschen »schon immer« oder »vor aller Zeit« existent waren. In monist. Religionen und Denkweisen gründet alle plurale Weltwirklichkeit in einem ewigen Prinzip oder Sein (das »Gott« entspricht), so daß sie in ihren Ursachen präexistiert (so in den fernöstl. Weltreligionen, in der griech. Philosophie seit Heraklit und Parmenides, im späteren Hellenismus und in hellenistisch beeinflußter christl. Theologie). In diesem Zusammenhang wird auch für die Menschen eine geistige (so z.B. in der griech. und hellenist. Philosophie für den vernünftigen Teil der menschl. Seele) oder auch individuell-geschichtl. P. (z.B. »Kreislauf der Existenzen« in Hinduismus, Buddhismus, modifiziert auch z.B. in der kelt. Religion; —>Karma, —>Seelenwanderung) angenommen. In Religionen, die sich um geschichtl. Phänomene oder Personen gebildet haben (v.a. die monotheist. Religionen), kann diesen P. zugeschrieben werden, selbst wenn ansonsten vergleichbare Vorstellungen fehlen. So wird in bestimmten Strömungen des Judentums die »Weisheit« oder »Thora« als präexistent aufgefaßt, im Islam der Koran, das hellenist. Christentum bildete schon in neutestamentl. Zeit im Kontext der Gottesaussage für Jesus Christus auf die Vorstellung von seiner P. aus (vgl. Phil. 2,6-8 und Prolog des Johannesevangeliums).
Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bd., 17.Bd./19. Aufl., 1992, F.A. Brockhaus, Mannheim

Aus diesen Angaben erkennen wir, dass eine solche gedachte Präexistenz einer Person keineswegs eine spezifisch christliche Idee oder einzig eine christliche Lehre ist. Im Gegenteil, diese Vorstellung ist in nicht-christlichen Kreisen oder Religionen weit verbreitet, zumeist in noch ausgeprägterer Form als es beim Christentum der Fall ist.

Eine bemerkenswerte Aussage wird hier zu Beginn gemacht: Die Präexistenz ist eine "Vorstellung", keineswegs eine in irgendeiner Form erwiesene oder wirklich feststehende Tatsache. Wir sehen weiterhin, dass für den westlichen Kulturraum bzw. die christliche Lehre der Ursprung der Präexistenzidee in der griechischen Philosophie liegt und diese dann mittels des hellenistischen Christentums in die christliche Theologie Eingang fand. Auch ist aufschlussreich, was am Ende bzgl. Jesus Christus gesagt wird: Es war keineswegs das gesamte Christentum, welches Jesus eine solche Art von Präexistenz zuschrieb, und zudem geschah dies auch nicht aufgrund des Zeugnisses der Schrift. Vielmehr stammen diese Tendenzen aus dem hellenistischen (von griechischen Einflüssen stark geprägten) Christentum, und wurden eingeführt "im Kontext der Gottesaussage", also im Zuge von und wohl auch zur Bekräftigung der Einführung der Trinitätslehre.

Dies sollte uns schon zu denken geben, denn die Grundlage der christlichen Lehre ist nicht eine griechische oder hellenistische Philosophie, sondern das im semitischen und eigentlich östlichen Kulturkreis verwurzelte Alte Testament. Das biblische Denken und die biblischen Konzepte sind wesentlich älteren Ursprungs als die griechischen Philosophien. Noch viel bedeutsamer ist, daß das biblische Gedankengut und die biblische Lehre auf Offenbarung und Eingebung Gottes zurückgeht.

Weiterhin ist es interessant, dass der Gedanke an eine Präexistenz fast ausschließlich auf die Person Jesus Christus beschränkt zu sein scheint. Andere Personen, wie etwa die Gläubigen, werden in diesem Zusammenhang nicht unbedingt mit eingeschlossen. Dies beruht in weiten Kreisen des Christentums zumindest teilweise auf der Vorgabe der Trinitätslehre, die ihrerseits ja ebenfalls sehr stark griechischen Ursprungs ist.

Jesus Christus … präexistent als Gott?

Gewöhnlich werden 2 größere Schriftstellen (Philipper 2,5-11 und Johannes 1,1-2.14), sowie eine Reihe von mehr oder weniger Einzelversen als biblische "Beweistexte" für eine Präexistenz Jesu angeführt. Aus diesen Stellen wird abgeleitet, dass Jesus bereits vor aller Zeit als "Gott" existierte, bevor sich Gott dann schließlich im Laufe der Menschheitsgeschichte erniedrigte und in Jesus Mensch wurde. Die Trinitarier treffen dabei aber immer wieder auf das Problem, dass eigentlich keine dieser Stellen oder Verse direkt eine solche Präexistenz erwähnt oder darauf hinweist. Um zu einem solchen Verständnis zu gelangen, muss man schon entsprechend voreingenommen sein und den eigentlichen Wortlaut mancher Aussagen verwerfen und abändern bzw. Wörter mit einem "eigenen" Verständnis lesen und allgemein gültige Sprachregeln zeitweise außer Kraft setzen.

In einer ausführlicheren Studie zu Philipper 2,5-11 habe ich aufgezeigt, dass in jenen Versen gar nicht davon die Rede ist, dass Jesus vor seiner Geburt bereits als Gott existierte und darüber nachdachte, ob er denn nun Mensch werden soll oder nicht (wie Trinitarier durch ihre Lehre und ihr Verständnis dieser Stelle behaupten). Die Stelle handelt von Jesu Einstellung, seiner Gesinnung, die er als der Mensch Christus Jesus hatte, und die sich die Philipper (und auch wir als Gläubige!) als Vorbild für eine rechte Gesinnung nehmen sollten. Der Schlüssel zum rechten Verständnis der ganzen Stelle ist Vers 5, wo die Ermahnung ausgesprochen wird: "Seid so gesinnt, wie Christus auch war!"

Die andere beliebte Stelle zur Beweisführung für eine Präexistenz Jesu als Gott ist der Anfang des Johannesevangeliums, auf den ich hier kurz eingehen möchte.

Johannes 1,1-2.14
1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
2 Dasselbe war im Anfang bei Gott.
14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, …

Was lehren diese Verse in Johannes 1? Dass Jesus im Anfang bereits als Gott existierte? Nichts dergleichen wird in diesen Versen ausgesagt! Oder steht hier etwa: "Im Anfang war Jesus Christus, und Jesus Christus war bei Gott, und Gott war Jesus Christus … Und Jesus Christus [Gott] wurde Fleisch und wohnte unter uns …"? Nein!

Ich habe auch diese Verse aus Johannes 1 in einer separaten und wesentlich ausführlicheren Studie zu Johannes 1,1ff unter dem Titel "Am Anfang war das Wort ..." eingehend erarbeitet und darin viele Einzelheiten zu den wesentlichen Aussagen klar und deutlich und einfach verständlich dargelegt. Hier will ich daher nur die grundlegenden Punkte nochmals erwähnen.

Wir dürfen diese Verse nicht quasi "rückwärts" angehen, sondern müssen die gemachten Aussagen zunächst einmal einfach so verstehen, wie sie da stehen. Es werden in den ersten zwei Versen zunächst drei Begriffe erwähnt: "Anfang", "Wort" und "Gott". Und dabei müssen wir es belassen: Im "Anfang" war "Wort" — nicht eine Person namens Jesus, nicht ein eingeborener Sohn Gottes als 2. Person einer "Mehr-Personen-Gottheit". Dieses Wort war "bei [wörtlich: "hin zu"] Gott" — dieses Wort stand in einer Beziehung zu Gott. Es war gerichtet "hin zu" ihm, aber es war ganz offensichtlich nicht identisch mit Gott! Und dann folgt noch: "Gott war das Wort" — aber nicht: "das Wort war Gott!" Erst später heißt es dann: "das Wort ward Fleisch" — in Gestalt des eingeborenen Sohnes Gottes. Zuerst war also "Wort", nämlich Gottes Wort bzgl. eines Sohnes, welcher der Erlöser der Menschen sein sollte, und als die Zeit erfüllt war (vgl. Galater 4,4) wurde dann die Person, von der das Wort handelte, als menschliches Wesen [Fleisch] geboren.

Diese gleiche Wahrheit kommt auch in 1. Petrus 1,20 zum Ausdruck.

1. Petrus 1,20
Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen,

"Er [Jesus Christus] ist zwar zuvor ausersehen …", wobei das Wort für "zuvor ausersehen" andeutet, dass hier genau das gemeint ist, was in Johannes 1 als "Wort" bezeichnet wurde. "Zuvor ausersehen" ist im griechischen das Wort für "voraus wissen", "vorab erkennen". Wissen und erkennen handeln von "Wort" — von Gedanken, Plan, Vorhaben. In Gottes Vorsehung war "Wort" vorhanden, nicht der real existierende Jesus als "Gott" oder Teil einer "Gottheit". Die reale Existenz Jesu wird im zweiten Teil dieser Aussage des Petrus angesprochen, wo es heißt: "aber offenbart am Ende der Zeiten". Dieser Ausdruck nimmt dann Bezug auf das, was in Johannes 1,14 als "das Wort ward Fleisch" bezeichnet wurde.

Präexistenz - ja; aber in welcher Form?

Wenn man Johannes 1 in Verbindung mit der Aussage zur gleichen Sache in 1. Petrus versteht, wird klar, dass man in gewisser Hinsicht durchaus von einer "Präexistenz" Jesu sprechen könnte. Aber, diese Form der Präexistenz hat absolut nichts gemein mit jener, die allgemein und insbesondere von Trinitariern propagiert wird.

Die Person "Jesus" existierte nicht vor seiner Geburt als der eingeborene Sohn Gottes. Erst mit der Zeugung und Geburt wurde er "offenbart" und war er ein lebendiges Wesen, ein Mensch aus Fleisch und Blut. Zuvor existierte "das Wort", Gottes Wort bzgl. des kommenden Erlösers, des eingeborenen Sohnes Gottes. Durch das Wort, welches ja zu Gott hin war, und von dem gesagt wird, dass "Gott das Wort war", wurde alles gemacht. Dieses Wort war in Gottes Vorsehung, sozusagen in "Gottes Sinn", seinem Plan, seinem Vorhaben, seiner Erkenntnis (Vorherwissen).

Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt: Das "Wort" handelte nicht nur von Jesus, sondern Gottes Botschaft war sozusagen in Jesus verkörpert. Jesus war die Verkörperung des Wortes Gottes. Darauf wies auch er selbst immer wieder hin, wie z.B. in seinen Worten an Philippus und die Jünger in Johannes 14.

Johannes 14,7-9
7 Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen.
8 Spricht zu ihm Philippus: Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns.
9 Jesus spricht zu ihm: So lange bin ich bei euch, und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater! Wie sprichst du dann: Zeige uns den Vater?

Den Jüngern und Philippus war jedenfalls klar, dass der Vater Jesu, der allmächtige Gott, nicht als Jesus vor ihnen stand, und auch dass Jesus und Gott nicht identisch sind. Allerdings hatte Philippus noch nicht recht erkannt, dass Jesus die Verkörperung des Wortes Gottes war und somit in seinen Worten und seinen Werken dadurch der Vater (Gott) "zu sehen" war.

Wenn man von einer Präexistenz Jesu sprechen will, so kann dies, biblisch betrachtet, nur davon handeln, dass Gottes Wort bzgl. des kommenden Erlösers, Gottes Plan bzgl. des kommenden Messias, in Gottes Vorsehung existierte, nicht aber bereits "die Person" Jesus Christus als Gott, Engel oder Mensch in irgendeiner Form oder Gestalt am Leben war.

Alle Schriftstellen, wo es scheint, als habe Jesus bereits vor seiner Geburt als Person (oder wie Trinitarier dann behaupten: als Gott) existiert, können in dieser Form von "Wort in Gottes Vorsehung" verstanden werden; eine andere Auslegung dagegen verursacht sofort Widersprüche zu andern Aussagen in der Schrift und wirft weitere Verständnisprobleme auf.

Metonymie - hier: die Person steht für die Worte

Die meisten Schriftstellen, die so oft als ein Hinweis auf eine reale Präexistenz Jesu verstanden werden, finden sich im Johannesevangelium. Die anderen drei Evangelien, gemeinhin auch als Synoptiker bezeichnet, enthalten kaum Redewendungen, die von jemandem so verstanden werden. Es liegt in der Sprache des Johannes, verschiedene Redefiguren oft zur Betonung bestimmter Wahrheiten in seinem Bericht zu verwenden. Wir werden in dieser Studie noch einige Stellen aus Johannes anschauen und ich werde aufzeigen, dass es bei diesen Aussagen nicht um die Person Jesus geht, sondern dass die Stellen entweder von seiner Existenz als Wort und Teil von Gottes Plan in Gottes Vorsehung handeln, oder aber von seinem Wort, welches er verkündete und lehrte und das ihm von Gott gegeben und somit auch schon im Anfang bei Gott war.

Ein wichtiger Schlüssel zum rechten Verständnis der Stellen, wo es scheint, als gäbe es eine Präexistenz Christi, ist das Erkennen und Beachten der Redefigur Metonymie, wo diese zur Betonung eingesetzt wird und dabei der Name einer Person für etwas anderes im Zusammenhang mit der Person steht. Bei der Nutzung dieser Redefigur Metonymie wird ein Attribut oder etwas, was gewöhnlich mit einer Person oder Sache in Verbindung gebracht wird, dazu benutzt, um etwas näher zu bestimmen oder in betonter Weise festzulegen.

Apostelgeschichte 8 enthält ein leicht verständliches Beispiel, das diesen Punkt verdeutlicht.

Apostelgeschichte 8,28
Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja.

Der Kämmerer aus Äthiopien "las den Propheten Jesaja" – wirklich? Er las natürlich nicht buchstäblich "den Propheten Jesaja", sondern er las Worte, die der Prophet Jesaja seinerzeit aufgeschrieben hatte, bzw. vermutlich noch nicht einmal genau das, sondern eine Abschrift der Worte, die Jahrhunderte vorher durch Jesaja aufgezeichnet worden waren.

Weil es hier heißt, er "las Jesaja", würde wohl kaum jemand auf den Gedanken kommen, das so zu verstehen, als habe Jesaja neben ihm auf dem Wagen gesessen und er habe diesen angeschaut und auf diese Weise "den Propheten gelesen". Nun, warum verstehen wir diese Stelle nicht auf diese Weise? Weil uns aus anderen Stellen bekannt ist, dass der Prophet Jesaja zu einer ganz anderen Zeit lebte, dass er zwischenzeitlich bereits seit Jahrhunderten verstorben war. Wenn die verschiedenen bekannten Wahrheiten bzgl. der Gesamtsituation beachtet werden, ist ein rechtes Verständnis der einzelnen Aussage möglich. übrigens, der Gebrauch dieser Redefigur Metonymie ist nicht außergewöhnlich in der Schrift, und auch wir benutzen diese Redefigur relativ oft in unserem täglichen Sprachgebrauch.

Nicht anders verhält es sich auch mit Aussagen in der Schrift, die auf Jesus Christus Bezug nehmen und in denen es scheint, als habe er bereits vor aller Zeit und vor seiner Geburt als Person existiert. In diesen Stellen muss man erkennen, dass auch hier die Redefigur Metonymie vorliegt, mittels der eigentlich auf das Wort bzgl. Jesus, bzw. manchmal auf seine Lehre, Bezug genommen wird, nicht aber auf ihn als bereits real existierende und lebendige Person.

Diese Art von Metonymie benutzte Jesus des öfteren in seinen Reden und Predigten, und immer wieder verwies er damit auf seine Worte, seine Lehre, seine Taten.

Johannes 6,32-34
32 Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel.
33 Denn Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.
34 Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot.

Jesus bezeichnet sich als "das wahre Brot vom Himmel" – redet er hier nun von seiner Person, oder von dem, was er lehrte und ihnen vermittelte? Was war hier dieses "Brot vom Himmel"? In welcher Form konnte er sich selbst überhaupt als "Brot vom Himmel" bezeichnen?

Johannes 6,53.54
53 Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns eßt und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch.
54 Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken.

Jesus geht soweit, dass er davon spricht, dass sie das Fleisch des Menschensohns essen und sein Blut trinken müssen, oder ansonsten kein Leben in sich haben … wie ist das nun zu verstehen? Zuerst spricht Jesus davon, er sei das ihnen von Gott gegebene Brot vom Himmel, dann spricht er davon, sie sollten sein Fleisch essen und sein Blut trinken. Wovon redet Jesus?

Es steht wohl eindeutig fest, dass Jesus nicht Kannibalismus predigte und daher hier nicht davon sprach, dass sie ihn buchstäblich "verzehren" sollten. Vielmehr erkennen eigentlich alle Leser schnell an, dass hier "das Fleisch des Menschensohns" und "sein Blut" als eine Metonymie für Jesu Lehre, für seine Worte stehen. In dieser ganzen Stelle geht es nicht um tatsächliche Nahrungsmittel, die buchstäblich verzehrt werden sollen, sondern überall liegt Metonymie vor, und das Brot vom Himmel, genau wie auch Jesu Fleisch und dann sein Blut stehen hier für seine Lehre, seine Worte! Es geht darum, dass sie Jesus und seinen Worten glauben sollten, um so durch Glauben an ihn das Leben zu haben.

Auch Trinitarier erkennen schnell diese Tatsache bzgl. der Nutzung von Metonymie für "Jesu Fleisch essen" und "Jesu Blut trinken", aber merkwürdigerweise beharren sie dann darauf, dass das "Brot" (in "Brot vom Himmel") zwar eine Redefigur sei, aber das "vom Himmel" wörtlich verstanden werden muss. Und so interpretieren sie dann "Brot" als Jesus, und schließen daran an, dass Jesus tatsächlich "im Himmel" war und von dort herabkam. Solches bringt aber die Aussage mit dem Kontext in Konflikt und verursacht scheinbare Widersprüche zu anderen Stellen, und kann daher nicht das sein, wovon Jesus spricht!

Ein wenig später identifiziert er erneut seine Lehre und seine Worte mit sich selbst. Seine Worte sind "Geist und Leben", es ist der Glaube an seine Worte, der Leben bringt. In Johannes 8,31.32Joh 8,31
31 Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger 32und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.
legt Jesus dar, dass man frei wird, indem man in seinen Worten bleibt, also seinem Wort glaubt und darin lebt.

Jesu Lehre war "vom Himmel", von Gott. Er redet mitunter von seinem Wort und seiner Lehre, indem er sich mit dieser gleichsetzt, wiederum mittels der Redefigur Metonymie (ähnlich wie das zuvor angeführte Beispiel mit "Jesaja"). Jesus machte deutlich, dass seine Lehre nicht aus ihm kam, sondern ihm von Gott gegeben wurde.

Johannes 7,16-19
16 Jesus antwortete ihnen und sprach: Meine Lehre ist nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat.
17 Wenn jemand dessen Willen tun will, wird er innewerden, ob diese Lehre von Gott ist oder ob ich von mir selbst aus rede.
18 Wer von sich selbst aus redet, der sucht seine eigene Ehre; wer aber die Ehre dessen sucht, der ihn gesandt hat, der ist wahrhaftig, und keine Ungerechtigkeit ist in ihm.
19 Hat euch nicht Mose das Gesetz gegeben? Und niemand unter euch tut das Gesetz. Warum sucht ihr mich zu töten?

Jesu Lehre war vom Himmel, von Gott, seinem Vater. Auch das Gesetz des Mose war von Gott, und man könnte in gleicher Weise davon sprechen, dass Mose [d.h. seine Lehre] vom Himmel gekommen war. Es geht hier um die Lehre, um das Evangelium, die Botschaft der Erlösung und des Heils, die ihren Ausgang von Gott nimmt. Paulus spricht diesbezüglich sogar davon, dass er und auch die anderen Apostel, "vor Gott [in Gottes Gegenwart]" reden (vgl. 2. Korinther 2,172Kor 2,17
Wir sind ja nicht wie die vielen, die mit dem Wort Gottes Geschäfte machen; sondern wie man aus Lauterkeit und aus Gott reden muß, so reden wir vor Gott in Christus.
). Nur, war Paulus deswegen im buchstäblichen Sinne "im Himmel vor Gott"? Nein!

Wenn also Jesus bzw. der Evangelienbericht davon spricht, dass Jesus "vom Himmel gekommen" sei, oder z.B. von Gott "gesandt sei", dann handelt es sich nicht darum, dass er als Person bereits bei Gott war und dort gelebt hatte, und dann von Gott in die Welt gesandt wurde. Dies ist eine falsche Annahme, bei der davon ausgegangen wird, dass eine Person zuerst persönlich bei dem anwesend sein muss, von dem er ausgesandt wird. Dies ist jedoch inkorrekt und nicht zwingend notwendig.

Johannes 6,38
Denn ich bin vom Himmel gekommen, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.

Diese Worte Jesu werden oft so gedeutet, als habe er als Person zuvor im Himmel bei Gott gelebt und sei dann von Gott ausgesandt worden und vom Himmel herab gekommen. Ist es tatsächlich zwingend so, dass eine Person zuvor bei Gott gelebt haben muss, bevor sie von Gott gesandt worden sein kann?

Johannes 1,6
Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes.

Hier lesen wir von einem anderen Menschen, der "von Gott gesandt" war, und dieser Mensch war Johannes der Täufer. Allerdings wird kaum jemand - und auch kein Trinitarier - behaupten wollen, dass auch Johannes bereits vor seiner Geburt oder einem Zeitpunkt vor dem Beginn seines öffentlichen Wirkens als Person bei Gott im Himmel existiert habe, weil er doch "von Gott gesandt" war. Wir erkennen, dass der Ausdruck "von Gott gesandt" keineswegs bedeutet, dass der von Gott gesandte Mensch bereits als Mensch oder als irgendein anderes Lebewesen oder gar als Gott eine reale Präexistenz im Himmel hatte.

Wenn Jesus erwähnte, dass er als Brot, Wasser, Auferstehung und Leben, usw. "vom Himmel gekommen" sei, so liegt ein Bezug zu seiner Lehre vor, und es war seine Lehre, die von Gott kam. Wenn er davon spricht, von Gott gesandt worden zu sein, so betont er damit, dass er in Gottes Auftrag handelt, Gottes Mission erfüllt. Es besteht keinerlei zwingender Grund, eine Präexistenz Jesu als Gott anzunehmen und dann solche Verse dementsprechend auszulegen. Jesus existierte vor seiner Empfängnis und seiner Geburt lediglich als "Wort" in Gottes Vorsehung; erst mit der Empfängnis und dann mit der Geburt wurde er ein lebendiger Mensch und als solcher eine "Person".

Interessant ist hierbei vielleicht auch noch, dass viele der Schriftstellen, die scheinbar von einer Präexistenz Jesu sprechen, von Jesus als dem Christus, dem Gesalbten, handeln. Nun war Jesus aber nicht von Geburt an der Christus, der Gesalbte, sondern erst ab dem Zeitpunkt, als er von Gott mit heiligem Geist gesalbt worden war … und dies geschah erst, als er etwa 30 Jahre alt war. In der Zeit davor existierte Jesus real nicht einmal als Christus, als der Gesalbte … er war der Gesalbte in Gottes Vorsehung, aber noch nicht in Realität.

Zusammenfassung

Die verschiedenen Stellen insbesondere im Johannesevangelium belegen keineswegs eine reale Präexistenz Jesu als Teil oder als "Person" der Gottheit von Ewigkeit her. Vielmehr macht Johannes gleich zu Beginn seines Evangeliums deutlich, dass man von einer Präexistenz Jesu nur insoweit sprechen kann, als er als "Wort" bereits - wie Petrus weiter ausführt -- von vor Grundlegung der Welt an, in Gottes Vorsehung existierte. Der "Anfang" des Sohnes Gottes war "Wort" in Gottes Vorsehung.

Gott hatte die Idee, den Plan, den Gedanken von einem Menschen (vgl. "Nachkomme des Weibes"), den Er als Erlöser senden würde, und dieser Mensch würde stellvertretend für alle durch das Opfer seines Lebens die Erlösung der Menschen ermöglichen. Dieses Wort von dem kommenden Sohn Gottes, fand dann in der Person Jesus von Nazareth seine Erfüllung. In ihm "wurde das Wort Fleisch" - mit anderen Worten, der Mensch von Fleisch und Blut, von dem das Wort gehandelt hatte, wurde geboren und wurde somit Realität.

Alle Hinweise auf Jesu Kommen vom Himmel oder vom Vater als das wahre Brot, das lebendige Wasser, als die Auferstehung und das Leben, usw. nehmen Bezug auf seine Lehre, seine Worte. Es waren seine Worte, die von Gott und somit vom Himmel gekommen waren. Jesus war nicht zuvor im Himmel gewesen, und von dort herabgekommen. Jesu Lehre war vom Himmel gekommen und ihm von Gott durch Offenbarung mitgeteilt worden. Die Hinweise, die von Jesu Person reden, und dass er als Mensch von Gott gesandt bzw. vom Himmel gekommen oder in irgendeiner Hinsicht im Anfang bereits gewesen sei, nehmen Bezug darauf, dass er in Gestalt von "Wort" Teil von Gottes Plan ist und somit bereits von vor Grundlegung der Welt in Gottes Vorsehung und Gottes Gedanken existierte. Solche Aussagen handeln nicht davon, dass er als eine reale "Person" bereits vor seiner Geburt im Himmel gelebt hat.

Wenn wir diese Punkte beachten, erkennen wir klar und deutlich, dass auch in dieser Hinsicht die Trinitätslehre falsch ist. Ihr wird eigentlich durch diese Erkenntnis ein wesentlicher Teil ihres Fundamentes entzogen, da eine "Gottheit" Jesu vor allem auf seine angebliche Präexistenz als "Gott, der Sohn" von Ewigkeit her gegründet ist. Die Schrift aber lehrt, dass Jesus in keinerlei Form bereits vor seiner Geburt gelebt hat, sondern dass er vor seiner Geburt in Gestalt von "Wort" in Gottes Vorsehung existierte.

 

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