von
Wolfgang Schneider
Immer wieder hört man in christlichen Kreisen den Hinweis, dass Christen für die Regierung, sowie König, Präsident, Kanzler, etc. beten sollen und deren Politik folgen müssen, da ja die Bibel lehre, dass gute Christen sich der staatlichen Gewalt unterordnen und die staatliche Gewalt auch von Gott selbst eingesetzt sei. Allerdings haben selbst die striktesten Vertreter einer solchen Ansicht angesichts einiger Herrscher oder Politiker dann doch ein "Problem" bzw. merken, da sie sich selbst in ein Dilemma hinein manövriert haben, wenn nämlich die Politik und Herrschaft nicht ganz ihren Vorstellungen entsprechen und gar biblischen Vorgaben widersprechen. Dann wird meist schnell auf eine andere Aussage der Bibel Bezug genommen und es wird beansprucht, dass man als Christ ja "Gott mehr gehorchen solle als Menschen". Allerdings löst diese Methode eigentlich nicht das zuvor selbst gemachte Problem ... im Gegenteil, es produziert einen weiteren Widerspruch, indem damit eine Auflehnung gegen die staatliche Obrigkeit propagiert wird, obgleich zuvor eine Unterordnung unter von Gott eingesetzte Obrigkeit gelehrt wurde. Allein diese wenigen Überlegungen zu solchen Situationen zeigt bereits auf, dass das wirkliche Problem offensichtlich an anderer Stelle zu suchen ist und die Lösung eine andere sein wird.
Die Ausgangsbasis für die ursprüngliche Ansicht bildet ein Abschnitt im Brief des Apostels Paulus an die Gläubigen in Rom. Daher soll dieser Abschnitt zunächst genauer betrachtet werden.
Römer 13,1-7
Die Stellung zur staatlichen Gewalt
1 Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet.
2 Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes; die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu.
3 Denn vor denen, die Gewalt haben, muß man sich nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes; so wirst du Lob von ihr erhalten.
4 Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst: sie ist Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an dem, der Böses tut.
5 Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen.
6 Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht.
7 So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.
Die meisten Leser werden, wenn sie diesen Abschnitt in der hier wiedergegebenen Luther 1984 Übersetzung lesen, vermutlich anschließend der Meinung sein, dass es sich hier um Anweisungen des Paulus an die Gläubigen handelt, wie sich Christen gegenüber der staatlichen Obrigkeit verhalten sollen. Eine solche Meinung wird zunächst bereits hervorgerufen durch die Überschrift über dem Abschnitt, die da lautet: "Die Stellung zur staatlichen Gewalt". Offensichtlich haben die Übersetzer also die Meinung vertreten, es handele sich hier um einen Abschnitt, der das Verhalten der Christen zur staatlichen Gewalt bzw. Obrigkeit regelt.
Die Übersetzer bzw. Mitglieder der Gruppe von Gelehrten, welche für die Revision der Luther 1984 Fassung verantwortlich zeichnet, sind übrigens nicht allein mit einer solchen Überzeugung, wie ein Blick auf die Abschnittsüberschrift und die Eingangsverse in anderen Übersetzungen zeigt.
Römer 13,1-2 (rev. Elberfelder)
Verhalten gegenüber der Obrigkeit
1 Jede Seele unterwerfe sich den übergeordneten <staatlichen> Mächten! Denn es ist keine <staatliche> Macht außer von Gott, und die bestehenden sind von Gott verordnet.
2 Wer sich daher der <staatlichen> Macht widersetzt, widersteht der Anordnung Gottes; die aber widerstehen, werden ein Urteil empfangen.
Römer 13,1-2 (Einheitsübersetzung)
Der Christ und die staatliche Ordnung: 13,1–7
1 Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt.
2 Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen.
Römer 13,1-2 (Gute Naricht)
Weisungen für das Verhalten gegenüber staatlichen Organen
1 Alle ohne Ausnahme müssen sich den Trägern der Staatsgewalt unterordnen. Denn es gibt keine staatliche Macht, die nicht von Gott kommt. Die jeweiligen Amtsträger sind von ihm eingesetzt.
2 Wer sich also gegen die staatliche Ordnung auflehnt, widersetzt sich der Anordnung Gottes, und wer das tut, zieht sich damit die Verurteilung im Gericht Gottes zu.
Römer 13,1-2 (Schlachter 2000)
Unterordnung unter die Obrigkeit
1 Jedermann ordne sich den Obrigkeiten unter, die über ihn gesetzt sind; denn es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre; die bestehenden Obrigkeiten aber sind von Gott eingesetzt.
2 Wer sich also gegen die Obrigkeit auflehnt, der widersetzt sich der Ordnung Gottes; die sich aber widersetzen, ziehen sich selbst die Verurteilung zu.
Wie man leicht erkennen kann, sind viele Übersetzungen sehr frank und frei mit ihrem Hinweis auf "staatliche Gewalt", "staatliche Obrigkeit", "staatliche Ordnung". Dies ist übrigens nicht nur in deutschen Bibelübersetzungen so, denn der gleiche Sachverhalt findet sich auch in Übersetzungen in anderen Sprachen (z.b. englische Bibelübersetzungen).
Da aber eine solche Sicht der Dinge, wie sie in solchen Übersetzungen vermittelt wird, zu dem eingangs erwähnten Dilemma führt, ist zu hinterfragen und zu überlegen, ob denn diese -- wenn auch sehr weit verbreitete -- Meinung wirklich biblisch gerechtfertigt und als Übersetzung tatsächlich korrekt ist. Mit anderen Worten: Weisen die benutzten Begriffe an sich wirklich zwingend auf STAATLICHE Obrigkeit (Gewalt, Organe) hin, oder bezeichnen die Begriffe vielleicht auch andere als staatliche Obrigkeit (Gewalt, Organe)? Gibt es Hinweise im biblischen Text dieses Abschnitts und/oder im davor oder danach stehenden Kontext, die ermöglichen zu bestimmen, um welche Art von Obrigkeit (Gewalt, Organe) es in diesen Aussagen wirklich geht?
Eine wichtige Wahrheit ist sofort offensichtlich: In den ältesten griechischen Handschriften gibt es keine Einteilung in Abschnitte und somit auch keine Abschnittsüberschriften, wie man sie in den späteren Übersetzungen dann findet. Das bedeutet, dass die in oben erwähnten Bibeln stehenden Überschriften über dem Abschnitt nicht Teil des eigentlichen biblischen Textes sind, sondern dass es sich lediglich um von Übersetzern oder Herausgebern hinzugefügte Worte handelt, die deren persönliche Meinung oder die Meinung ihrer Auftraggeber darstellen. Die Überschriften sind also absolut nicht verbindlich für ein korrektes Verständnis des Textes und des Zusammenhangs.
Römer 13,1-2 (Stephens Textus Receptus (1550)
1 πασα ψυχη εξουσιαις υπερεχουσαις υποτασσεσθω ου γαρ εστιν εξουσια ει μη απο θεου αι δε ουσαι εξουσιαι υπο του θεου τεταγμεναι εισιν
2 ωστε ο αντιτασσομενος τη εξουσια τη του θεου διαταγη ανθεστηκεν οι δε ανθεστηκοτες εαυτοις κριμα ληψονται
Das als "<staatliche> Obrigkeit" übersetzte griechische Wort ist εξουσιαις (abgeleitet von ἐξουσία). Dieses griechische Wort selbst wird z.B. wie folgt definiertKassühlke, R., & Newman, B. M. (1997). Kleines Wörterbuch zum Neuen Testament: Griechisch-Deutsch (p. 67). Deutsche Bibelgesellschaft.:
ἐξουσία, ας f Vollmacht; Freiheit/Recht (zu handeln) [Apg 5,4]; Anrecht; Fähigkeit; Macht; Gewalt; Hoheitsbereich (Lk 23,7); Machthaber; Befehlshaber; Beamter; Obrigkeit; ἐ. ἔχειν ἐπὶ τῆς κεφαλῆς Bedeutung unsicher, vielleicht ein Zeichen der Bevollmächtigung (durch den Ehemann) oder ein Zeichen der Abhängigkeit (vom Ehemann) auf dem Kopf haben [1Kor 11,10]
Allein schon aus diesem Eintrag im "Kleines Wörterbuch zum Neuen Testament: Griechisch-Deutsch (p.67)" geht hervor, dass dieses Wort sich nicht zwingend auf eine "staatliche" Obrigkeit bezieht. Vielmehr wird deutlich, dass der jeweilige Zusammenhang, also der unmittelbare Kontext, in welchem der Begriff benutzt wird, bestimmt, um welche Art von Autorität, Gewalt, Vollmacht, Obrigkeit es sich handelt. Mit anderen Worten: Nicht jede "Obrigkeit" ist "staatliche Gewalt", es gibt vielmehr noch andere Formen von Obrigkeit.
Damit stellt sich auch im Hinblick auf diesen Abschnitt die wichtige Frage, um welche Obrigkeit es hier überhaupt geht? Wenn Römer 13,1 von "sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat" spricht, von welcher Autorität habenden Obrigkeit ist da die Rede? Auf welcher Grundlage könnte diese "Obrigkeit" als "staatliche Obrigkeit" gedeutet und verstanden werden? Gibt es nähere Hinweise zu dieser "Obrigkeit" im unmittelbaren Kontext, die zu einem rechten und dem Kontext entsprechenden Verständnis führen?
Diese Hinweise gibt es in sehr deutlicher Form! In Vers 1 wird u.a. gesagt, dass die Obrigkeit, um die es hier geht, "von Gott" sei, ja sogar "von Gott angeordnet" ist! Diese wichtigen Details weisen darauf hin, dass es hier gezielt um eine Obrigkeit (Gewalt, Organe) geht, die "von Gott eingesetzt" und "von Gott" (in Gottes Auftrag und mit Gottes Vollmacht) handelt. Diese Wahrheiten werden in noch größerem Maße aus dem Gesamtzusammenhang dieses Abschnitts deutlich.
Will man den Abschnitt in Röm 13,1-7 korrekt verstehen, kommt man nicht umhin, die darin gemachten Aussagen in ihrem Zusammenhang, ihrem Kontext zu lesen.
Der Brief an die Römer weist inhaltlich mehrere größere Abschnitte auf, wobei auffällt, dass in den Kapiteln 1 - 8 (nach einem kleinen Abschnitt mit einer Begrüßung) wichtige Lehrinhalte über das Christ sein dargelegt werden, von der Situation des verlorenen ungerechten Sünders hin zu dem in Christus durch Glauben an den Messias Jesus gerechtfertigten und im Glauben an Christus gerechten Gläubigen als Kind Gottes. Auf diesen Abschnitt folgt eine Art größerer Einschub mit Kapitel 9 - 11, in denen wichtige Wahrheiten bzgl. der Situation des biblischen Israel in Gottes Heilsplan erörtert werden. Mit Kapitel 12 beginnt dann der zweite große Abschnitt, in dem wiederum Gläubige in der Gemeinde Gottes, angesprochen sind und nun viele Punkte des praktischen täglichen Lebenswandels als Christen in der Gemeinde angesprochen werden. Dieser Abschnitt mit Informationen zum praktischen christlichen Lebenswandel in der Gemeinde umfasst Kapitel 12 - 15.
Der wichtige - und für ein rechtes Verständnis von Römer 13,1-7 notwendige - Punkt ist dabei: Es geht in dem gesamten Abschnitt Römer 12 - 15 um Dinge des Lebens als Christ INNERHALB DER GEMEINDE GOTTES, des Leibes Christi. Es geht NICHT um den christlichen Lebenswandel außerhalb der Gemeinde, um den Lebenswandel als Christ gegenüber Nichtchristen oder um das Verhalten als Christ gegenüber dem Staat!! Einige Aussagen aus diesem größeren Abschnitt verdeutlichen dies schnell und klar.
Römer 12,3-6a
3 Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, daß niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern daß er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.
4 Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben,
5 so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied,
6 und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. ...
Gleich zu Beginn des Abschnitts wird betont, dass es um das Leben innerhalb der Gemeinde Gottes, innerhalb des Leibes Christi, geht. In den dann folgenden Versen geht es um unterschiedliche Dienste innerhalb der Gemeinde, wie etwa Weissagung ("prophetische Rede"), ein Amt, Lehre, Ermahnung, Geben, der Gemeinde vorstehen, Barmherzigkeit erweisen.
Römer 12,6b-8
6 ... Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß.
7 Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er.
8 Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er's gern.
Hierbei handelt es sich nicht um bestimmte Dinge, die alle Gläubigen in der Gemeinde als Teil ihres täglichen Lebenswandels tun, sondern gezielt um bestimmte Aufgaben und Verantwortungen, die von bestimmten Gliedern in der Gemeinde in besonderem Maße ausgeübt werden, was besonders deutlich wird in der Erwähnung von Amt, Lehre, der Gemeinde vorstehen.
Der dann folgende Abschnitt beschreibt Aspekte des täglichen Lebens der einzelnen Glieder gegenüber den anderen Gliedern im Leib Christi, dem Verhalten der Glieder untereinander in der Gemeinde.
Römer 12,9-12ff
9 Die Liebe sei ohne Falsch. Haßt das Böse, hängt dem Guten an.
10 Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor.
11 Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn.
12 Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.
...
Weitere Anweisungen zum Lebenswandel der Gläubigen in der Gemeinde folgen in den restlichen Versen von Kapitel 12. Ohne einen Hinweis auf einen Themenwechsel (!) geht es dann in Kapitel 13 mit weiteren Anweisungen weiter. Es scheint, als hätten viele aufgrund der Kapiteleinteilung den Eindruck, als gäbe es zwischen Römer 12,21 und 13,1 einen Themenwechsel und als handelten die Anweisungen in Kapitel 13 nun nicht mehr vom Leben innerhalb der Gemeinde, sondern vom Verhalten der Gläubigen gegenüber dem Staat. Dabei braucht man nur einmal in Kapitel 13 nach Vers 7 weiterzulesen, um zu sehen, dass es auch da noch immer um das Leben innerhalb der Gemeinde Gottes geht.
Römer 13,8
8 Seid niemandem etwas schuldig, außer, daß ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt.
Allein schon aus dem Beginn von Vers 8 ("Seid niemandem etwas schuldig, außer, daß ihr euch untereinander liebt ...") sollte offensichtlich sein, dass die Anweisungen weiterhin vom Leben innerhalb der Gemeinde handeln. Diese Anweisungen für das Leben innerhalb der Gemeinde setzen sich in Römer 14 & 15 fort.
Kapitel 13,1-7 als eine Anweisung für das Verhalten der Gläubigen gegenüber dem Staat zu interpretieren, führt zu einem ungerechtfertigten Themenbruch. Völlig unvermutet und ohne jegliche Einführung oder einen Hinweis würde das Thema von "innerhalb der Gemeinde" für 7 Verse zu "außerhalb der Gemeinde" wechseln, um dann genauso unvermutet und plötzlich ohne jeglichen Hinweis wieder zu "innerhalb der Gemeinde" zurück zu wechseln. Eine derartige Interpretation ergibt schlicht und einfach keinen Sinn und verursacht eine Unterbrechung im Gedankenfluss des gesamten Abschnitts von Römer 12 - 15.
Römer 13,1-2
1 Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet.
2 Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes; die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu.
"Jedermann sei untertan ..." - wer ist "jedermann"? Aus dem oben erwähnten Überlegungen zum Kontext der Stelle sollte klar sein, dass es nicht um "jedermann" in einem ganz allgemeinen Sinne (z.B. alle Menschen in der Gesellschaft, alle Bürger eines Staats) geht, sondern um alle Glieder in der Gemeinde, um die Gläubigen im Leib Christi.
Als nächstes folgt der Hinweis auf "die Obrigkeit [Autorität], die Gewalt über ihn hat", sowie die weitere Information, dass es sich dabei um "Obrigkeit ... von Gott" bzw "Obrigkeit .. von Gott angeordnet" handelt -- welche von Gott angeordnete Obrigkeit gibt es denn für die Gläubigen im Leib Christi, die innerhalb der Gemeinde Autorität über Gläubige hat? Es sollte aus dem Kontext klar sein, dass es gar nicht um staatliche Regierungen, staatliche Behörden geht, sondern um von Gott in der Gemeinde Gottes eingesetzte und gegebene Autorität habende Personen. In Römer 12,6-8 wurden z.B. einige solche erwähnt (vgl. Ämter, Lehrer, Gemeindevorsteher). Diese sind von Gott gegeben, von Gott angeordnet. Und wenn sich jemand in der Gemeinde dieser Autorität / Obrigkeit widersetzt, widersetzt er sich der Anordnung Gottes.
Römer 13,3-5
3 Denn vor denen, die Gewalt haben, muß man sich nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes; so wirst du Lob von ihr erhalten.
4 Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst: sie ist Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an dem, der Böses tut.
5 Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen.
Diese Verse vermitteln einige weitere Aspekte im Hinblick auf den Lebenswandel der Gläubigen in der Gemeinde gegenüber denen, die in der Gemeinde von Gott als Autorität bzw. Obrigkeit eingesetzt sind. Die von Gott angeordnete Obrigkeit in der Gemeinde ist notwendig, um Bösem in der Gemeinde Einhalt zu gebieten; wegen guter Taten in der Gemeinde dagegen ist die Obrigkeit von niemandem zu fürchten, sondern im Gegenteil wird man von ihr Lob für Gutes erhalten. Diese Obrigkeit in der Gemeinde ist laut Gottes Plan Gottes Dienerin, den Gliedern der Gemeinde zugut.
Römer 13,5-7
5 Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen.
6 Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht.
7 So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.
Da Vers 6 sich direkt auf die Aussage in Vers 5 bezieht und an sie anschließt, darf man diesen und den nachfolgenden Vers nicht isoliert davon lesen und verstehen. Leider wird aber genau das meist gemacht, und die Erwähnung von "Steuer" wird dann als ein weiterer "Beweis" dafür hingestellt, es ginge in diesem gesamten Abschnitt um staatliche Gewalt! Diese falsche Annahme berücksichtigt nicht den Kontext des ganzen Abschnitts und führt letztlich zu den widersprüchlichen Interpretationen, die zu Beginn dieser Studie erwähnt wurden.
Wenn man den Gedankenfluss von Vers 5 bis Vers 7 genau beachtet, ergibt sich folgender Hauptgedanke:
Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen ..., denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht.
Man kann unschwer erkennen, dass der Ausdruck "Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer" gar nicht Bestandteil des Hauptgedankens der Aussage ist, sondern ein erklärender Einschub mit einem Gedanken aus einem anderen Zusammenhang, der den Punkt "um des Gewissens willen" noch betont.
... nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen (deshalb [nicht nur um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen] zahlt ihr ja auch Steuer), denn sie ist ...
Hier wird nicht gesagt, dass in der Gemeinde eine "Kirchensteuer" zu zahlen sei, genauso wenig wird gesagt, dass die angesprochene Obrigkeit der Staat sei!
In Vers 7 folgt dann sozusagen die Schlussfolgerung aus den erwähnten Überlegungen. "So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid ..."! Und Paulus greift nochmals zurück auf die Situation mit dem Staat bzw der weltlichen Macht, wenn er erwähnt "Steuer, dem die Steuer gebührt" und "Zoll, dem Zoll gebührt"; und kommt dann zum Abschluss der Aussage wieder zurück auf die Situation innerhalb der Gemeinde mit "Furcht, dem die Furcht gebührt" und "Ehre, dem die Ehre gebührt", wie er ja gerade zuvor im Hinblick auf das Verhältnis der Gläubigen in der Gemeinde gegenüber der von Gott eingesetzten Obrigkeit in der Gemeinde dargelegt hatte.
In dem Abschnitt in Römer 13,1-7 geht es überhaupt nicht um staatliche Gewalt, sondern - wie der Zusammenhang der Aussagen in Römer 12 -15 zeigt, um das Leben innerhalb der Gemeinde Gottes, des Leibes Christi. Die erwähnte von Gott eingesetzte Obrigkeit (Autorität) ist die Obrigkeit innerhalb der Gemeinde, die als Gottes Dienerin eingesetzt ist, um Bösem Einhalt zu gebieten. Diese Obrigkeit fordert oder verlangt übrigens keine Unterordnung, sondern vielmehr sollen sich die einzelnen Gläubigen aufgrund der korrekten Erfüllung der ihr von Gott aufgetragenen Aufgaben ihr aus freien Stücken unterordnen. Die Gläubigen werden sich nicht nur wegen einer zu erwartenden Strafe, sondern vor allem um ihres Gewissens willen, der Obrigkeit von Gott unterordnen, genauso wie sie ja auch im Hinblick auf staatliche Macht ihre Steuern zahlen.
Diesen Abschnitt zu verwenden, um damit zu behaupten, Gott setze die staatlichen Obrigkeiten ein, und deshalb sollten die Gläubigen den staatlichen Regierungen und Herrschern untertan sein, weil sie ansonsten Gottes Anordnung widerstreben, ist eigentlich eine perverse Verdrehung dessen, was der biblische Text in Römer 12 - 15 lehrt. Eine solche irrige und falsche Auslegung ist es, die erst Widersprüche zur biblischen Wahrheit produziert und das eingangs erwähnte Dilemma hervorruft.
Auch in diesem Falle ist die sich aus letztlich einfachem und logischen Lesen des biblischen Textes ergebende biblische Wahrheit eigentlich von jedem zu erkennen. Man muss aber darauf achten, dem biblischen Text Vorrang zu geben vor vorgefassten und weit verbreiteten Meinungen und Behauptungen, wenn diese angesichts des biblischen Textes keinen rechten Sinn ergeben oder ihm gar widersprechen.