Dieser Abschnitt aus Apg 1 wird häufig angeführt, um damit zu "beweisen", dass das Kommen Christi noch immer zukünftig sein muss. Es wird behauptet, so etwas, wie hier geschildert, sei noch nicht wieder geschehen, und somit sei klar, dass Jesus noch nicht "SO wiedergekommen" sein kann.

Man sollte aber, wie bei allen Bemühungen um ein rechtes Verständnis einer biblischen Aussage, darauf achten, alle mit der Thematik verbundenen Schriftstellen im Auge zu behalten und nicht eine Stelle so auszulegen, dass das vorgeschlagene Verständnis anderen Aussagen in der Bibel widerspricht.

Zuerst ist es notwendig, dass wir uns die Stelle und den Kontext dieser Aussage genauer anschauen und beachten, was tatsächlich dort geschrieben steht.

Apg 1,10-11
Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern.
Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.

Wie in der Überschrift dieser Studie erwähnt, sind es die in Vers 11 berichteten Worte der zwei Männer, die als Beweis herhalten müssen. Es wird argumentiert, die Jünger haben Jesus im buchstäblichen Sinne und "physisch" (mit einem Körper) in den Himmel auffahren sehen, und so wird er daher auch ebenso "physisch" (mit einem Körper) und sichtbar wiederkommen.

Nur, ist das, was uns in diesem Abschnitt mitgeteilt wird? Ist das, wovon die zwei Männer in weißen Gewändern redeten? Um dies recht zu beurteilen, werden wir den unmittelbaren Kontext dieser Aussage in unsere Überlegungen einbeziehen. Was wird uns in diesem Abschnitt berichtet im Hinblick darauf, was die anwesenden Jünger sahen? Vers 9 gibt uns die Antwort.

Apg 1,9
Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg.

Jesus wurde aufgehoben und dabei in eine Wolke "vor ihren Augen weg" aufgenommen! Die unrev. Elberfelder Bibel übersetzt: "von ihren Augen hinweg"; die Gute Nachricht Bibel hat: "so daß sie ihn nicht mehr sehen konnten"; die Einheitsübersetzung hat: "und entzog ihn ihren Blicken". Der Bericht in Apg 1,9 ist eindeutig und weist darauf hin, daß die Jünger Jesus eben NICHT sichtbar und in körperlicher Gestalt in den Himmel auffahren sahen, sondern dass eine Wolke ihn aufnahm und er dadurch nun ihrem Blick entzogen und verborgen, also für sie nicht mehr sichtbar war.

Die zwei Männer in den weißen Gewändern sagten ihnen, was sie gerade als Zeugen erlebt hatten. Verborgen vor ihren Blicken war Jesus in einer Wolke gen Himmel aufgefahren und in den Himmel aufgenommen worden, und SO — wie? aufgenommen in einer Wolke, d.h. verborgen vor menschlichen Blicken — würde er wiederkommen!

Das ist genau das Gegenteil von dem, was diejenigen behaupten, die Apg 1,11 als Beweis für eine noch immer zukünftige physische und sichtbare Rückkehr Christi vorbringen. Es ist aber genau das, was Christus selbst lehrte und was auch aus den Berichten im Alten Testament über Gottes Kommen "auf den Wolken" erkennbar ist.

Weil der Bericht in Apg 1 drei Dinge nacheinander erwähnt (sie sahen ihm nach, er fuhr gen Himmel, eine Wolke nahm ihn auf), nehmen viele Leute an, dass sich die Dinge auch nacheinander ereigneten ... und sie haben dann meist folgendes Geschehen in ihrem Sinn: Sie begannen ihre Blicke auf Jesus zu richten (vielleicht einige Sekunden vor "lift off" ?), dann kam das Ende des Countdown und Jesus hob ab (wie man es von einem Raketenstart kennt), und eine 1 Minute in den Flug erreichte er dann die Wolkenschichten in der oberen Atmosphäre, und als er die Wolken durchbrach, konnten sie ihn nicht mehr länger sehen. Solch ein Szenario mag vielleicht Vorstellungen heutiger an Raketenstarts bei Weltraumunternehmungen gewöhnte Leser entsprechen, hat aber nichts mit dem biblischen Bericht zu tun. Man darf die biblischen Schriften nicht aus der Sicht eines westeuropäischen oder US amerikanischen Betrachters im 20. / 21. Jahrhundert lesen, sondern muss die biblischen Berichte in ihrem ursprünglichen historischen, kulturellen und sprachlichen Kontext verstehen.

Zunächst ist festzustellen, dass die erwähnten Ereignisse nicht zwingend nacheinander geschehen sein müssen, sondern sich sehr wohl quasi gleichzeitig ereigneten. Falls die im Text verwendeten Ausdrücke (wie etwa "Wolke", usw.) im buchstäblichen Sinne gemeint und zu verstehen sind, ergibt sich das Bild, dass bei diesem Ereignis, als Jesus in den Himmel aufgenommen wurde, während sie Jesus anschauten, eine Wolke das Geschehen "überzog", so dass sie Jesus nicht mehr länger sehen konnten ... und als die Wolke sich wieder verzog, folgten sie dieser mit ihren Blicken und schauten gen Himmel, sahen aber nichts mehr, da nämlich die eigentliche Aufnahme Jesu in den Himmel UNSICHTBAR war.

Falls die benutzten Ausdrücke die Verwendung von Redefiguren einschließen, dann ist es um so klarer, dass sich die erwähnten Dinge eigentlich gleichzeitig ereigneten. Der Bericht betont dann mittels der Benutzung figurativer Sprache, dass Christus, der sich in seinem irdischen Körper gezeigt hatte (ähnlich wie dies bei mehreren anderen Ereignissen während der 40 Tage davor geschehen war, als er sich so als Beweis für seine Auferstehung von den Toten als der Lebendige gezeigt hatte, vgl. Apg 1,3), unsichtbar wurde und in den Himmel aufgenommen wurde (das Bild mit "der Wolke" als Redefigur, die betonte, dass der Menschensohn in die Gegenwart Gottes aufgenommen worden war). Die zwei danach plötzlich anwesenden "Männer" wiederholten dann in ihren Worten und verwiesen auf das, was Jesus selbst bereits seinen Aposteln zuvor verkündet hatte, nämlich dass der Menschensohn "auf einer Wolke kommen würde" ... und nun hatten sie ihn eben so - "in einer Wolke" gehen sehen!

Eine Sache ist unumstößlich klar: Sie sahen Christus nicht "sichtbar, in körperlicher Gestalt" in den Himmel auffahren ... und somit ist ebenfalls klar, dass er gemäß der Worte der Engel (und auch seiner eigenen Worte zuvor) eben NICHT "sichtbar, in körperlicher Gestalt" wiederkommen würde!

Eine weitere Schwierigkeit ist ein Missverständnis des Wortes "sehen", denn es geht nicht um ein physikalisches "Sehen mit den Augen", sondern um "wahrnehmen" bzw. "verstehen". Die Apostel würden verstehen, sie würden erkennen, wenn Jesus auf den Wolken wiederkommt, wobei das nichts mit "mit den Augen buchstäblich sehen" zu tun hat.

Jesus erwähnt in seiner Rede auf dem Ölberg etwas, was ebenfalls darauf hinweist, daß sein Kommen nicht physisch körperlich und mit den Augen sichtbar sein würde. In Matthäus 24,23-26 weist er die Jünger darauf hin, dass sie nicht denen glauben sollten, die etwa behaupten: "Siehe, hier ist der Christus! oder: Da!" Oder wenn jemand behaupten würde: "Siehe, er ist in der Wüste!" oder "Siehe, er ist drinnen im Haus!", so sollten sie es nicht glauben. Warum? Wenn doch sein Kommen physisch und körperlich sichtbar wäre, warum würde dann jemand nicht tatsächlich sagen können, "Siehe, er ist da und da!"? Die Antwort wird klar im erweiterten Kontext anderer Stellen zu Jesu Kommen: Sein Kommen würde nicht körperlich, nicht physisch, und somit auch nicht für die Augen sichtbar stattfinden! Solche Behauptungen von Leuten, sie hätten ihn irgendwo gesehen, sind damit alle falsch, und die Jünger sollten solchen Aussagen nicht glauben. Sein Kommen würde wahrnehmbar sein, aber eben nicht physisch mit den Augen, sondern anhand dessen, was geschehen würde.

Eine interessante Schriftstelle in diesem Kontext findet sich in 1Jo 3,2.

1 Johannes 3:2:
Geliebte, wir sind nun Gottes Kinder, und noch ist nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen aber, daß, wenn Er offenbar werden wird, wir Ihm ähnlich sein werden; denn wir werden Ihn sehen, wie er ist.

Auf den ersten Blick scheint diese Stelle nichts direkt mit der Thematik des Kommens Christi zu tun zu haben. Bei näherem Hinsehen aber erkennen wir, dass Johannes berichtet, dass er noch nicht genau weiß, was wir bei dem Kommen Christi sein werden. Er schreibt: "Noch ist nicht offenbar geworden, was wir sein werden ... wenn Er offenbar werden wird, wir Ihm ähnlich sein werden". Es ist offensichtlich, dass Johannes nicht weiß, was Christus sein wird und was wir dann sein werden.

Wichtiger wird diese Aussage, wenn wir beachten, dass Johannes ja bei der Himmelfahrt Jesu persönlich anwesend war und sehr wohl wusste, was Jesus gewesen war. Hätte er die zwei Männer in den weißen Gewändern bei der Himmelfahrt so verstanden, als würde Jesus in der gleichen leiblichen Gestalt zurückkehren, in der er aufgefahren war, dann hätte er recht gut beschreiben können, wie der bald kommende Jesus sein würde und was wir dann sein würden. Johannes aber erwartete offenbar nicht, dass Jesus in der gleichen leiblichen Gestalt wiederkommen würde, mit der er gen Himmel fuhr und vor seinen Augen weg in einer Wolke aufgenommen wurde; vielmehr wird aus seinen Worten in 1Jo 3,2 deutlich, dass er davon ausging, Jesus würde in anderer Form wiederkommen.

Die Aussage des Johannes ist eine Bestätigung, dass er keine Wiederkunft Christi in körperlicher Gestalt erwartete. Und doch ist das nun gerade das, was viele Christen heute erwarten und wie sie den Bericht in Apg 1 auslegen. Wenn wir erkennen, dass die Vorstellung einer Wiederkunft Christi in physischer, leiblicher Gestalt tatsächlich viele Schriftstellen in Frage stellt und widersprüchlich werden lässt, sollten wir ernsthaft in Erwägung ziehen, dass diese Idee wohl nicht der biblischen Lehre entspricht und daher unbedingt revidiert werden muss.

Mit der Erkenntnis, dass Apg 1 keine physische, leibliche Wiederkunft Christ lehrt, sollten wir uns bemühen, die Schriftstellen zum Thema Wiederkunft Christi in Einklang miteinander zu verstehen und darauf achten, dass die Botschaft der Bibel von einer Wiederkunft Christi sich so abgespielt hat, wie es uns in der Bibel angekündigt wird: bald, und noch in der Generation der ersten Christen im 1. Jahrhundert n.Chr.

 

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