Geschichte
Schon vor dem Ersten Weltkrieg trug sich der jüdische Philosoph und Gelehrte
Martin Buber mit dem Gedanken einer übersetzung der Hebräischen Bibel,
um den zunehmend säkularisierten Juden in Deutschland die Schrift wieder neu
zu erschließen. Durch die Kriegsjahre konnte das Projekt zunächst nicht
weiterverfolgt werden. Im Jahr 1925 erhielt Buber eine Anfrage von dem jungen
(christlichen) Verleger Lambert Schneider, der seine Verlagsarbeit mit einer
übersetzung des "Alten Testaments" durch Martin Buber beginnen wollte.
Für Buber war dies "wie ein Zeichen". Gemeinsam mit dem jüdischen
Sprachphilosophen Franz Rosenzweig, der damals bereits schwer krank war, nahm
er das Werk in Angriff. Vier Jahre später starb Rosenzweig, der das
Projekt noch bis zu dem Lied vom leidenden Gottesknecht in Jesaja 53 begleiten
konnte. Buber verließ Deutschland im Sommer 1938 und ging nach Jerusalem,
wo er an der Hebräischen Universität unterrichtete. Dort setzte er
seine übersetzungsarbeit fort, bis "Die Schrift" im Jahr 1961 vollendet war.
Nachbildung des hebräischen Originals
Es macht den besonderen Charakter der Buber/Rosenzweigschen übersetzung aus,
daß sie das hebräische Original nicht nur dem Inhalt, sondern ebenso
seiner Form nach im Deutschen nachzubilden suchen. Dies ist darin
begründet, daß das Wort der Bibel für Buber und Rosenzweig
eigentlich gesprochenes Wort, unmittelbare Ansprache an Zuhörende ist,
deren Sprachgestalt nicht ohne Schaden preisgegeben werden kann.
"In der jüdischen Tradition ist die Schrift bestimmt, vorgetragen zu
werden ...; schon die hebräische Bezeichnung für lesen bedeutet: ausrufen,
der traditionelle Name der Bibel ist: die Lesung, eigentlich also: die Ausrufung;
und Gott sagt zu Josua nicht, das Buch der Tora solle ihm nicht aus den Augen,
sondern es solle ihm nicht aus dem Munde weichen ... So aufgenommener
Gesprochenheit also soll die deutsche Lautgestalt entsprechen, selbstverständlich
nicht für das stumme Lesen, sondern für den richtigen, den vollen Lautwert
herausholenden Vortrag."
Eine große Rolle spielt dabei die Gliederung des Textes in "natürliche,
von den Gesetzen des menschlichen Atems regierte, sinnmäßig geschlossene
Sprechabsätze", sog. "Kola", von denen jede eine "rhythmisch geordnete
Einheit" bildet. (In der Druckfassung entspricht dem die durchgängige
Gliederung in Sinnzeilen.) Oft sind es bestimmte "Leitworte", durch die sich
diese Rhythmisierung ergibt.
Ein Beispiel hierfür ist die Turmbauerzählung (1.Mose/Genesis 11,1-9).
Sieben mehrfach wiederkehrende Leitworte kennzeichnen darin die Entsprechung
zwischen der Handlung der Menschen und der Gegenhandlung Gottes. Es sind die
Leitworte: alle Erde, Mundart, vermengen, heran!, bauen, Stadt, Name und zerstreuen.
Aufgrund der besonderen Funktion der Leitworte ist es für Buber geboten,
für jedes hebräische Wort unabhängig vom jeweiligen Sinnzusammenhang
eine gleichbleibende deutsche Entsprechung zu verwenden, darüber hinaus
werden wurzelverwandte hebräische Wortgruppen durch wurzelverwandte deutsche
Wortgruppen wiedergegeben (chäsäd = Huld; chasad = hold sein;
chasidim = die Holden).
"Das Nomen kodesch, gewöhnlich durch heilig, das Heilige wiedergegeben,
ist ein dynamischer Begriff, der zunächst einen Vorgang, den der Heiligung,
des Heiligens und des Geheiligtwerdens, später erst auch das Heiligtum
bezeichnet; daher nicht heilige Menschen, sondern Menschen der Heiligung und nicht
heilige Gaben, sondern Darheiligungen, die Priesteranteile an diesen sind Abheiligungen,
die Gegenstände, die alles, was sie berührt, zu sakral Ausgesondertem machen,
verheiligen es und das Innerste des Heiligtums heißt nicht das Allerheiligste,
sondern, als der Ort, von dem alles im Heiligtum sein Geheiligtsein empfängt,
das Heiligende (eigentlich: die Heiligung) der Heiligtume."
Vor ein besonderes Problem sahen die übersetzer sich bei dem Gottesnamen
gestellt. Im Hebräischen steht dort das Tetragramm JHWH, das im
Dornbusch-Gespräch zwischen Gott und Mose durch den Satz: "Ich werde dasein,
als der ich dasein werde" erklärt wird. Nach jüdischem Brauch wird
an Stelle dieses nicht auszusprechenden Namens das Wort adonai (= mein Herr) #
verwendet. Diese Lösung war für die neue übersetzung jedoch nicht
geeignet, weil sie den Sinngehalt des Hebräischen nicht angemessen wiedergibt.
Von der Urform des Namens Jah/Jahu aus, der ein reiner Ausruf ist und etwa mit
"Oh Er" wiedergegeben werden könnte, wählen Buber/Rosenzweig das
Personalpronomen, das Gott in seinem beistehenden Gegenüber zu den Menschen
beschreibt, denen er sich zuwendet: ICH, DU oder ER; an einzelnen Stellen
erscheint auch die Wiedergabe des Gottesnamens mit ER IST DA.
"Es galt, eine Wiedergabe zu finden, die in dem hörenden Leser ein jener
aus dem Namen zuströmenden Gewißheit verwandtes Gefühl erzeugt,
also das Bei-ihnen-, Bei-uns-Sein Gottes nicht begrifflich aussagt, sondern
gegenwärtiglich verleiht. Die Einsicht in den pronominalen Charakter
oder Gehalt der ursprünglichen Namensform gab die Richtung an. Darum steht
in unserer Verdeutschung ICH und MEIN, wo Gott redet, DU und DEIN, wo er
angeredet wird, ER und SEIN, wo von ihm geredet wird ... An einzelnen Stellen
der Schrift, wo der Name in seiner vollen Erschlossenheit sich manifestiert,
weil eben die Gegenwärtigkeit Gottes verkündigt werden soll,
mußte ER IST DA gewagt werden."
Die gemeinsame Urwahrheit
Zwischen dem Beginn des übersetzungswerks in Deutschland und seiner
Vollendung in Israel lag der Holocaust mit dem unfaßlichen Maß der
Schuld, das Deutsche auf sich geladen haben. Zum Abschluß der übersetzung
im Februar 1961 hatte Buber einige Freunde in seine Wohnung in Jerusalem
eingeladen. Bei diesem Anlaß sagte sein langjähriger Freund Gershom
Scholem, daß diese übersetzung zu Beginn so "etwas wie das Gastgeschenk"
hätte sein können, "das die deutschen Juden dem deutschen Volk in
einem symbolischen Akt der Dankbarkeit noch im Scheiden hinterlassen konnten ...
Aber es ist anders gekommen ... Die Juden, für die Sie übersetzt
haben, gibt es nicht mehr ... Die deutsche Sprache selber hat sich in dieser
Generation tief verwandelt, und nicht in der Richtung jener Sprachutopie, von
der Ihr Unternehmen so eindrucksvolles Zeugnis ablegt."
Buber antwortet darauf, indem er an einen Brief anknüpft, in dem Franz
Rosenzweig - in einer Vorahnung des Kommenden - davon gesprochen hat, daß
von der Bibel her auch nach siebzig Jahren des Babylonischen Exils ein neuer
Anfang möglich ist.
"Es sieht mir nicht danach aus, als ob Die Schrift siebzig Jahre zu warten
hätte. Aber ‘missionieren’ - ja, auf jeden Fall! Ich bin sonst
ein radikaler Gegner alles Missionierens ... Aber diese Mission da lasse ich mir
gefallen, der es nicht um Judentum und Christentum geht, sondern um die gemeinsame
Urwahrheit, von deren Wiederbelebung beider Zukunft abhängt. Die Schrift ist
am Missionieren. Und es gibt schon Zeichen dafür, daß ihr ein Gelingen
beschieden ist."
(Information: Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart)